Am 18. Januar 1871 soll der preußische König Wilhelm I. zum Kaiser des neuen Deutschen Reiches gekrönt werden. Doch am Vorabend kommt es zum Eklat in Versailles: Wilhelm I. will auf keinen Fall "deutscher Kaiser" genannt werden. Wenn schon, dann doch bitte "Kaiser von Deutschland".
Dieser Titel würde aber die süddeutschen Fürsten brüskieren. Unter Tränen klagt Wilhelm I. in Richtung von Otto von Bismarck pathetisch: "Morgen ist der unglücklichste Tag meines Lebens! Da tragen wir das preußische Königtum zu Grabe."
Kaiserproklamation als Höhepunkt der Reichsgründung
Auch Bismarck ist mehr als genervt vom Zank rund um die Kaiserkrönung. "Ich hatte als Geburtshelfer mehrmals das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen, dass der ganze Bau in Trümmer gegangen wäre", schreibt er seiner Ehefrau.
Dabei ist die Gründung des Nationalstaats, die mit der Kaiserproklamation in Versailles ihren Höhepunkt finden soll, das Lebenswerk des preußischen Ministerpräsidenten. Mehr als zehn Jahre hat der "Schmied des Reiches" darauf hingearbeitet und drei blutige "Einigungskriege" geführt. Mit Frankreich ist der Frieden da noch nicht besiegelt.
Eisige Zeremonie im Spiegelsaal
Aber Wilhelm und sein militärischer Stab haben bereits seit Oktober 1870 ihr Hauptquartier in Versailles. Die Krönung im Spiegelsaal ist auch eine preußisch-pragmatische Lösung. "Man wollte die Gunst der Stunde nutzen, inmitten des Krieges, inmitten des Erfolges hier möglichst schnell das Deutsche Reich auszurufen", meint der Historiker Andreas Rose.
Die Zeremonie hat denn auch wenig gemein mit den einstigen feudalen Festen am französischen Hof. Im Saal ist es so kalt, dass die kostbaren Spiegel beschlagen. Genauso eisig ist die Stimmung unter den angereisten Fürsten, vielen ist ein deutscher Nationalstaat noch suspekt.
Anfang und Ende im Versailler Spiegelsaal
König Ludwig II. von Bayern etwa verabscheut alles Preußische und hätte lieber Österreich an der Spitze Deutschlands gesehen. Bismarck lässt ihm für die Zustimmung unter der Hand sechs Millionen für den Bau seiner Märchenschlösser zukommen. Der Krönung bleibt Ludwig II. dennoch fern. Auch sein Bruder Otto kann die Zeremonie nur schwer ertragen: "Mir war’s so eng und schaal in diesem Saale, erst draußen in der freien Luft atmete ich wieder auf."
Noch verbitterter sind die Franzosen: Die Proklamation des deutschen Kaisers in Versailles empfinden sie als große Demütigung – und weckt Rachegelüste. Im gleichen Schloss wird 48 Jahre später das deutsche Kaiserreich enden: mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 18. Januar 2021 ebenfalls an Wilhelm I.. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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