Zwei missratene Putschversuche haben Louis-Napoléon Bonaparte nur Kerker und Exil eingebracht. Nach der Revolution von 1848 gelangt der politische Abenteurer mit dem großen Namen ganz demokratisch an die Macht. Als Galionsfigur der Bourgeoisie und treuer Bonapartisten gewinnt der Neffe von Kaiser Napoleon I. die Wahl zum Präsidenten Frankreichs.
Europas alter Adel zeigt dem Emporkömmling die kalte Schulter, mokiert sich höchstens über dessen berüchtigt unstillbaren Hunger auf Bettgenossinnen. Auch nach seinem Aufstieg zum Kaiser der Franzosen bleibt Napoleon III. in höchsten Kreisen nicht nur als Brautwerber unerwünscht. 1853 verkündet der Monarch von Volkes Gnaden: "Ich ziehe eine Frau, die ich liebe und achte, einer Unbekannten vor, mit der eine Verbindung Vorteile, aber auch Opfer bedeutet hätte." Der Hofstaat und Louis-Napoléons Verwandte sind entsetzt.
Heirat nach Napoleons Vorbild
Die "standesgemäße" Herzensdame des Parvenü-Kaisers heißt Eugénie de Montijo. Ihrer schottischen Mutter verdankt die am 5. Mai 1826 geborene Tochter eines spanischen Grafen ihre rot-blond schillernden Haare. "Ihre Züge sind wie gemeißelt und haben die Vollkommenheit einer griechischen Statue", begeistert sich die Schriftstellerin George Sand: "Ihre größte Schönheit liegt in ihren tiefblauen Augen." Seit ihrer Jugend ist die streng katholisch erzogene Eugénie mit Leib und Seele Bonapartistin. Fasziniert verfolgt sie über die Jahre den Kampf des kaiserlichen Neffen um die Krone; zweimal begegnet sie Louis-Napoléon gesellschaftlich dank der Beziehungen ihrer ehrgeizigen Mutter.
Als Mätresse aber mag sich Eugénie nicht erobern lassen, sie will die Ehe, sie will Herrin im Tuilerien-Palast werden: "Was mich anregte, das waren die großen Fragen, bei denen das nationale Interesse, das nationale Ansehen eine Rolle spielen." Eugénies Charme, ihrem sprühenden Geist und befreiendem Lachen kann der Kaiser nicht widerstehen. Am 30. Januar 1853 führt Napoleon III. die 27-Jährige in Notre-Dame in Paris vor den Traualtar. Auf Eugénies Einfluss hin gleicht ihre in neureichem Pomp inszenierte Eheschließung bis ins Detail der Hochzeit von Napoleon I. Nach drei Jahren bringt die Kaiserin in einer überaus schweren Zangengeburt einen Thronerben zur Welt. Eine erneute Geburt könne tödlich enden, warnt man sie. Kurz nach der Geburt von Napoléon-Louis endet die körperliche Beziehung des Kaiserpaares, womit beide zufrieden gewesen sein sollen.
Fünf Jahrzehnte Kaiserwitwe
Mit Kaiserin Eugénie kommt Schwung in das Zweite Kaiserreich – ökonomisch, kulturell und gesellschaftlich. Napoleon III. bezieht seine Frau in Staatsgeschäfte ein und überlässt ihr bei Abwesenheit in Kriegszeiten sogar die Regentschaft. Kompromisslos in religiösen Fragen führt Eugénies konservative Diplomatie das Kaiserreich mehr als einmal in die Krise. 1867 endet ihr Engagement für die gewaltsame Annektion Mexikos mit der Erschießung des von Napoleon eingesetzten Vasallenkaisers Maximilan von Österreich. "Ihre feststehenden Ideen waren in der Regel weit davon entfernt, richtig oder genügend begründet zu sein", notiert Dr. Barthez, der Leibarzt der kaiserlichen Familie. Preußens Kanzler Bismarck dagegen lobt, Eugénie sei "der einzige Mann an Frankreichs Spitze".
Bestärkt von seiner Frau führt Napoleon III. das Land gegen Preußen in den Krieg und in die vernichtende Niederlage bei Sedan. Am 3. September 1870 erklärt die Republik Frankreich den Kaiser für abgesetzt. In Chislehurst bei London finden die Bonapartes 1871 ihre Exilheimat. Nur zwei Jahre später stirbt der 62-jährige Napoleon bei einer Blasenoperation. Eugénies über alles geliebter Sohn Napoléon-Louis fällt 1879 in Südafrika als Offizier im Zulu-Krieg. Die Ex-Kaiserin selbst erlebt noch das neue Jahrhundert, von der Öffentlichkeit abgeschirmt und standesgemäß. Gemeinsam mit Queen Victoria und den Kaiserinnen Sisi von Österreich und Maria Feodorowna von Russland kürt Eugénie Cap Martin an der Côte d’Azur zum Winterrefugium von Europas High Society. Während eines Besuchs in Madrid stirbt sie am 11. Juli 1920 mit 94 Jahren.
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