Berlin Hauptbahnhof (Luftaufnahme)

26. Mai 2006 - Berlins neuer Hauptbahnhof wird eröffnet

Stand: 26.05.2016, 00:00 Uhr

Europas größter Kreuzungsbahnhof wird mitten im Wasser errichtet. Das entscheidet Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Bahn, höchstpersönlich. Dort, wo der alte Lehrter Bahnhof die Stadtteile Berlins in Ost-West-Richtung verband, soll 15 Meter unter der Erde auch eine Nord-Süd-Achse entstehen. Die Spree muss dafür umgeleitet werden; Taucher gießen im Grundwasser die Betonfundamente. Ein 3,6 Kilometer langer Tunnel unter der Spree hindurch verbindet die neue Berliner Bahnzentrale mit dem Potsdamer Platz.   

Überirdisch errichtet das Architektenteam Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg einen lichtdurchfluteten Konsumtempel aus Glas und Stahl. Auf drei Ebenen laden mehr als 80 Geschäfte die Reisenden zum Bummeln und Shoppen ein, nur unterbrochen von den Gleiszugängen. 700 Millionen Euro soll der neue Hauptstadt-Bahnhof kosten. Bei seiner Eröffnung am 26. Mai 2006 hat der gigantische Prestige-Bau rund 1,2 Milliarden Euro verschlungen.   

Bahnchef Mehdorn streicht "Lametta"-Decke

Im Kaiserreich hat Berlin noch zehn Fernbahnhöfe, jeder in der Hand eines anderen Unternehmens. Zum Umsteigen müssen Reisende oft die ganze Stadt durchqueren. Durch die Teilung Berlins nach 1945 wird der Bahnhof Zoo zur Zentral-Station West-Berlins und der heutige Ostbahnhof zum Hauptbahnhof der DDR-Hauptstadt. Nach der Deutschen Einheit braucht Berlin dringend einen neu konzipierten Knotenpunkt, um als Bahndrehkreuz Europas zukunftsfähig zu sein. 1995 beginnen die Bauarbeiten für den neuen Hauptbahnhof; spätestens zur Fußball-WM 2006 müssen die Züge rollen. Die statischen und technischen Herausforderungen aber bringen das Mammutprojekt schwer in Verzug.

Nach der Jahrtausendwende hinkt der Bau dem Zeitplan bereits Jahre hinterher. Um den Eröffnungstermin zu halten, greift Bahnchef Mehdorn massiv in die Gestaltungsfreiheit der Architekten ein. So wird das riesige gewölbte Glasdach der überirdischen Gleisanlagen um 100 Meter verkürzt. "Das Dach ist lang genug, die Züge stehen drunter", lässt Mehdorn Planer und Öffentlichkeit wissen. Bei den längsten Zügen schaue zwar vorne und hinten der Triebkopf raus, aber das sei "nicht so schlimm". Auf den unterirdischen Bahnsteigen lässt Mehdorn statt der vorgesehenen hellen Gewölbedecke kurzerhand eine schmucklose Flachdecke einziehen: "Da gibt es kein Lametta mehr übers Ohr gehängt. Das bleibt jetzt so, wie es ist."

Shopping Mall mit Gleisanschluss

Das renommierte Hamburger Architekten-Duo Gerkan/Marg läuft Sturm gegen Mehdorns Basta-Entscheidungen. Ihr gesamtes Konzept sei zerstört worden, schäumt Meinhard von Gerkan: "Es ist die größte Niederlage, die ich in meinem Berufsleben erfahren habe, dass ein Bauwerk dieser Bedeutung und Dimension so mutwillig amputiert worden ist." Im Oktober 2005 verklagen von Gerkan, Marg und Partner die Bahn auf Urheberrechtsverletzung. Ein Jahr später entscheidet das Berliner Landgericht zu ihren Gunsten. Mehdorns Eingriffe hätten das Bauwerk "erheblich entstellt", die geplante Decke müsse nachträglich eingezogen werden. Mehdorn jedoch bleibt wie gewohnt beinhart, und alles bleibt, wie es ist. Nach einer endlosen öffentlichen Schlammschlacht zahlt die Bahn eine nicht genannte Summe zur Förderung junger Architekten, und Gerkan/Marg verzichten auf eine Umrüstung.

Mit zwei Minuten Verspätung rollt Angela Merkel am 26. Mai 2006 mit dem ICE aus Leipzig in den Hauptbahnhof ein. "Ich bin überwältigt", lobt die Kanzlerin ihren Bahnchef, nachdem sie den Panoramablick über Spree, Kanzleramt, Reichstag bis zum Potsdamer Platz genossen hat. Hartmut Mehdorn preist seinen Glas-Palast als "funktionalsten Großstadtbahnhof der Welt". Ab 22.30 Uhr, nach dem Abzug der Prominenz und einer aufwändigen Lasershow, dürfen auch die zu Tausenden draußen wartenden Berliner ihren Hauptbahnhof von innen bestaunen. Um 00.29 Uhr startet der RE 38366 nach Eberswalde den fahrplanmäßigen Verkehr. Seither strömen im Durchschnitt 300.000 Reisende täglich durch die Hauptstadt-Shopping-Mall mit Gleisanschluss.

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.