Auf Franz Beckenbauer ist Verlass. Als Kapitän hat er die DFB-Elf 1974 zum zweiten WM-Titel geführt und 1990 erneut als Teamchef. Auch als Chef des deutschen Bewerbungskomitees für die WM 2006 hat's der Kaiser wieder gerichtet. Mit tosendem Applaus bedanken sich 60.000 Zuschauer im Münchener Olympiastadion, dass Beckenbauer das Weltturnier zum zweiten Mal nach Deutschland geholt hat. Fifa-Boss Sepp Blatter dagegen kassiert bei der Eröffnungsfeier der 18. Fußball-WM ein gellendes Pfeifkonzert.
Dass die Lichtgestalt Beckenbauer einmal im Zentrum eines Korruptionsskandals stehen könnte, ist an jenem 9. Juni 2006 unvorstellbar. Mit einer Stimme hatte sich Deutschland im Juli 2000 als Ausrichter vor Südafrika durchgesetzt – dank einer Enthaltung eines als Südafrika-Befürworter bekannten Fifa-Delegierten. 2012 erklärt der Neuseeländer sein ominöses Stimmverhalten mit "Druck durch einflussreiche europäische Interessensgruppen".
Volksfest in Schwarz-Rot-Gold
Thomas Gottschalk moderiert gewohnt locker die halbstündige temporeiche Eröffnungsshow. 1.400 Mitwirkende bieten ein mit leichter Hand inszeniertes Spektakel, das das WM-Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" unverkrampft in farbenprächtige Bilder umsetzt. Nach der offiziellen Eröffnung durch Bundespräsident Horst Köhler rollt dann endlich der Ball. Als Philipp Lahm nach sechs Minuten gegen Costa Rica das 1:0 erzielt, beginnt ein nationales Volksfest in Schwarz-Rot-Gold, das als "deutsches Sommermärchen" Geschichte schreibt. Beim 4:2-Sieg überzeugt die offensiv starke Mannschaft von Trainer Jürgen Klinsmann ebenso wie in den folgenden Gruppenspielen gegen Polen (1:0) und Ecuador (3:0).
Nach einem 2:0 im Achtelfinale gegen Schweden müssen Millionen vor den Fernsehern und Public-Viewing-Leinwänden erstmals bangen: Elfmeterschießen gegen Argentinien! Torwarttrainer Andreas Köpke reicht Jens Lehmann einen Zettel mit Notizen über die Schussgewohnheiten der Gauchos und der deutsche Keeper hält zwei Strafstöße. Mit 4:2 i.E. zieht Deutschland ins Halbfinale ein, das Endspiel scheint greifbar nah. Doch in Dortmund trifft die DFB-Elf auf die bei einer EM oder WM noch nie bezwungenen Italiener. 118 Minuten halten die "Klinsmänner" den Azzurri stand, dann machen Grosso und Del Piero den verdienten 2:0-Sieg und damit den Finaleinzug gegen Frankreich perfekt. Deutschland wird mit einem überzeugenden 3:0 gegen Portugal Dritter und von den Fans wie ein Weltmeister gefeiert.
War das "Sommermärchen" gekauft?
Das Finale in Berlin am 9. Juli findet erstmals seit 28 Jahren ohne deutsche oder brasilianische Beteiligung statt. Italien ist favorisiert gegen die als überaltert eingeschätzten Franzosen. Doch das Team um den überragenden Zinedine Zidane hat sich von Spiel zu Spiel steigern können. Nach Ablauf der regulären Spielzeit steht es 1:1. Zehn Minuten vor dem Ende der Verlängerung dann eine unglaubliche Szene: Von Verteidiger Marco Materazzi durch eine unflätige Beleidigung gereizt, rastet Zidane aus und stößt dem Italiener wie ein angestochener Stier seinen Kopf gegen die Brust. Der dreimalige Weltfußballer des Jahres sieht im letzten Spiel seiner Profi-Karriere Rot und muss von der Bank aus mitansehen, wie sich Italien im Elfmeterschießen mit 5:3 den vierten WM-Titel sichert.
Das euphorisch gefeierte "Sommermärchen" wird seinem Motto gerecht. Die Besucher aus aller Welt reiben sich verwundert die Augen über dieses gastfreundliche Deutschland in Partylaune, das so gar nicht den Klischeevorstellungen entspricht. 2015 jedoch erhält das Bild von der grandiosen Heim-WM durch Recherchen des "Spiegel" hässliche Schrammen. Demnach besteht der Verdacht, dass die Vergabe an Deutschland erkauft worden ist. 6,7 Millionen Euro landeten offenbar auf verschlungenen Pfaden unter anderem über Konten von Franz Beckenbauer, des DFB und der Fifa bei einem Baukonzern in Katar, dem Ausrichter der WM 2022. Die Firma gehört Mohammed bin Hamman, einem Fifa-Funktionär, der 2012 vom Weltverband wegen Korruption lebenslang gesperrt wurde.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 9. Juni 2016 ebenfalls an die Fußball-WM 2006. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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