Stichtag

2. Februar 1926 - Gesetzentwurf zur Fürsten-Enteignung vorgelegt

Stand: 02.02.2016, 00:00 Uhr

Unter dem Druck der Novemberrevolution legt Philipp Scheidemann das Kaiserreich ad acta: "Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen", verkündet der SPD-Politiker am 9. November 1918 vom Balkon des Berliner Reichstags. "Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!" Drei Tage nach dem Sturz Wilhelms II. und Scheidemanns nicht autorisierter Ausrufung der Weimarer Republik endet die Kaiserzeit auch in Österreich.

Die Sozialisten in Wien machen Tabula rasa: Karl I. muss abdanken, Monarchie und Adelstitel werden abgeschafft, das Vermögen des Hauses Habsburg-Lothringen wird kurzerhand verstaatlicht. Die deutschen Fürsten-Dynastien dagegen entgehen ihrer Enteignung. Auch sie verlieren zwar alle Macht; ihr Vermögen und Besitz an Land und Schlössern aber wird lediglich beschlagnahmt. Eine fatale Nicht-Entscheidung der jungen Republik, die mit der Hyperinflation 1923 eine Serie von Fürsten-Prozessen und Machtproben zwischen linken und rechten Parteien auslöst.

Das Volk soll entscheiden

Die Weimarer Republik überlässt es den Ländern, sich mit ihren früheren Landesherren zu einigen. Ihre Verfassung garantiert das Recht auf Eigentum; Enteignungen erfordern Entschädigungen. Wie die Hohenzollern klagen die meisten der 22 deutschen Fürsten vor Gericht auf Rückgabe oder Regress - mit teils grotesken Forderungen. Viele monarchistisch gesonnene Richter urteilen dennoch zugunsten der Kläger, was das Heer der Arbeitslosen und Kriegsversehrten auf die Straßen treibt. "Wenn Millionen auch verhungern, und Millionen elend starben: Deutsches Volk, laß deine Fürsten, deine Fürsten nur nicht darben", ätzt das Satireblatt Simplicissimus.

Der Kampf um die Fürsten-Entschädigungen spielt vor allem den Kommunisten in die Karten. "Keine Handbreit deutscher Erde, keinen Ziegelstein, keinen Pfennig den Fürsten", fordert die KPD in einem im November 1925 eingebrachten Antrag auf radikale Enteignung. Die SPD bangt um ihre Koalitionschancen mit dem konservativen Flügel, kann sich aber im Kampf um die Arbeiterklasse dem KPD-Vorstoß nicht verschließen. Am 2. Februar 1926 bringen die Sozialdemokraten eine Gesetzesvorlage ein mit dem Ziel eines Volksentscheids über die entschädigungslose Fürsten-Enteignung. Voraussetzung dazu ist ein erfolgreiches Volksbegehren. Etwa vier Millionen Wähler brauchen KPD und SPD zum Sieg, mehr als dreimal so viele Menschen tragen sich in die ausgelegten Listen ein.

Hohenzollern auf Nazi-Kurs

Paul von Hindenburg, seit 1925 Nachfolger des plötzlich gestorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert, kämpft mit allen Mitteln gegen den Kommunisten-Vorstoß. Der Volksentscheid habe eine verfassungsändernde Wirkung, dekretiert die greise Ikone der Rechten. Daher sei nicht die einfache, sondern die absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich. Einen Sieg der Linken macht Hindenburg so unmöglich. Statt der erforderlichen 20 Millionen Bürger stimmen nur 15,5 Millionen für die Enteignung der Fürstenhäuser. Anfangs hatte auch der linke Flügel der NSDAP seine Anhänger zur Teilnahme an der Volksbefragung aufgerufen. Adolf Hitler zieht es jedoch vor, den Zorn der Massen auf die Juden statt auf deutsche Adelsgeschlechter zu lenken.

Nach dem misslungenen Volksentscheid schließen die Länder meist großzügige Verträge mit ihren früheren Herren. Als ehemaliger König von Preußen verliert Wilhelm II. zwar 250.000 Morgen seines Landbesitzes. "380.000 Morgen aber dürfen die Hohenzollern behalten. Mit den alten undemokratischen Eliten geht die Weimarer Republik mehr als sorgsam um", weiß Stephan Malinowski, Historiker an der Universität Edinburgh. Wilhelm II. darf im Exil im nahen Holland hoffen, nochmals als Retter gerufen zu werden; seine zweite Frau pflegt in Deutschland Kontakte zu Nazi-Größen wie Hermann Göring; sein Erbsohn tritt als glühender Hitler-Verehrer der SA bei. Dennoch, resümiert Malinowski, "hat es nie einen Versuch gegeben, die Hohenzollern als Gruppe auszuschalten".

Stand: 02.02.2016

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