Das Mikrofon ist versteckt, als am 3. August 1922 der New Yorker Sender "WGY" das erste Hörspiel der Radiogeschichte live ausstrahlt: Die Schauspieler sollen nicht irritiert werden. Gesendet wird eine Adaption des Theaterstücks "Der Wolf" von Eugene Walter. Einen Mitschnitt des historischen Ereignisses gibt es nicht, dafür über 2.000 Fanbriefe.
Die neue Kunstform, die ohne äußere Bilder auskommt, fasziniert. "Diese Freiheit der Imagination, die bietet einem kein anderes Medium", sagt Hör- und Schauspieler Uwe Friedrichsen. "Es ist so, dass die Fantasie ihre Flügel ausbreitet und hinfliegt, wohn sie eben will." Jeder Hörer habe die Chance auf seine eigene Interpretation.
Deutschland zieht nach
Im Oktober 1924 wird das erste für das deutsche Radio geschriebene Hörspiel in Frankfurt am Main auf Welle 124 ausgestrahlt. Es stammt von Hans Fläsch und beschäftigt sich mit Zauberei auf dem Sender: "Meine Damen und Herren, sehen Sie fest, ganz fest in Ihren Apparat. Ich zähle bis drei - und auf drei sehen mich alle!" Das Experiment kommt nicht gut an: "Was soll der Unsinn, denkt so mancher braver Bürger. Und die Frage ist berechtigt", heißt es in der Kritik der "Radioumschau".
Bisher sei das Radio nur Ausdrucksmittel bestehender Kunstformen gewesen. "Aber wäre es nicht möglich, mit dem Radio künstlerische Wirkung zu erzielen, die weder das Theater noch das Konzert noch das Kino zuwege bringen?"
Massenpanik in den USA
Namhafte Autoren der 1920er Jahre - wie Erich Kästner, Walter Bauer und Eduard Reinacher - entdecken das Hörspiel und erreichen damit ein Millionenpublikum. Diese Entwicklung endet Anfang der 1930er Jahre: Die Nationalsozialisten lassen das Hörspiel in Unterhaltung und Propaganda untergehen.
In den USA hingegen erreicht die imaginierende Kraft des Mediums ihren Höhepunkt und löst 1938 eine Massenpanik aus. Nach einer angeblichen Live-Reportage über die Landung von Marsmenschen an der amerikanischen Ostküste muss der Regisseur den Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit aufklären: "Hier spricht Orson Welles, um Ihnen zu versichern, dass der Krieg der Welten nicht stattgefunden hat."
Technik verbessert räumliche Wirkung
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das literarische Hörspiel in der Bundesrepublik zum Ersatz für die zerstörten Theater. Radio ist in den 1950er Jahren Kult und Familienmittelpunkt. "Es soll gehalvollt, zuweilen auch anspruchsvoll, aber nie zu anspruchsvoll sein", sagt der damalige WDR-Intendant Hanns Hartmann. "Es wird immer Ihre Aufmerksamtkeit verlangen, aber die Sendungen setzen kein Spezialstudium voraus."
Als das Fernsehen aufkommt, übernimmt es die Funktion des Radios - und das große Publikum. Das Hörspiel bekommt 1963 einen festen Platz in den Kulturprogrammen. Mitte der 1960er Jahre revolutioniert die Technik das Hörspiel. Mit Hilfe der Stereophonie können Räume besser hör- und vorstellbar gemacht werden.
Heute eröffnen digitale Aufnahme- und Bearbeitungstechnik zusätzliche Möglichkeiten. Die 3D-Technologie sei soweit, dass mit Kopfhörern dreidimensional gehört werden könne, sagt WDR-Hörspielchefin Martina Müller-Wallraf. "Sie können einen Raumklang erzeugen, der Ihnen eine eigene körperliche Ausrichtung in diesem Raum ermöglicht."
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 3. August 2017 ebenfalls an die Ausstrahlung des ersten Hörspiels in den USA. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 04.08.2017: Vor 20 Jahren: Jeanne Calment stirbt in Arles