Im 19. Jahrhundert sitzen Radrennfahrer buchstäblich noch auf einem hohen Ross. Der Sport wird mit Hochrädern betrieben, ohne Sturzhelm und auf Kopfsteinpflaster. Wegen des hohen Schwerpunkts ist bremsen nahezu unmöglich – eine äußerst gefährliche Angelegenheit. Ernst Sachs ist einer der wagemutigsten Kandidaten. In nicht einmal fünf Jahren gewinnt er 80 Preise, insgesamt landet er 46 Mal auf dem ersten Platz.
Aber Sachs ist auch ein genialer Tüftler. Also verbindet er seine beiden Talente miteinander und widmet sein Leben der Frage, wie man das Radfahren leichtläufiger machen kann.
Feinmechaniker des Radsports
Geboren wird Sachs am 22. November 1867 als Sohn eines Sägewerksbesitzers in Petershausen bei Konstanz. Nach einer Schlosserlehre geht er nach Frankfurt am Main, um als Feinmechaniker und Radsportler zu arbeiten.
Hier trifft er auf August Lehr, den besten deutschen Radrennfahrer seiner Zeit, aber auch auf den Fahrradunternehmer Heinrich Adler und die fünf Söhne des Autofirmengründers Adam Opel. Beim Training im Frankfurter Palmengarten wird er von einem unachtsamen Kollegen angefahren: Er stürzt so schwer vom Rad, dass er den Sport aufgeben muss.
1895 gründet Sachs mit Kaufmann Karl Fichtel als sozial hervorragend vernetztem Finanzier im Rücken in einem Hinterhof die "Schweinfurter Präcisions-Kugellager-Werke Fichtel & Sachs". Ein Jahr zuvor hat er seine erste Fahrradnabe zum Patent angemeldet.
Zunächst hat die Werkstatt nur einen Mitarbeiter. Dann steigen zur Jahrhundertwende viele Menschen vom Hochrad auf die zunächst als "Kriecher" und "Käfer" verspotteten "Niederräder" modernen Typs um. Aus rund 500.000 Rädern im Jahr 1896 werden dreißig Jahre später zehn Millionen – wohl auch, weil der Preis ebenfalls in die Tiefe fällt. Für Fichtel & Sachs bedeutet dies den Durchbruch.
Mit "Torpedo" zum Erfolg
Zugute kommt dem Geschäft Sachs' Idee, keine kompletten Fahrräder zu bauen, sondern nur Komponenten, die aber dringend benötigt werden. So wie eine Fahrradnabe, die Antrieb, Freilauf und Bremse gleichzeitig ist.
1903 startet die Firma eine ausgeklügelte Werbekampagne. "Torpedo in Sicht!", heißt es in einer Nachricht, "Torpedo durchquert die Alpenländer!" und "Torpedo ist zur Schlussprobe am Stilfser Joch angelangt!" in darauf folgenden Mitteilungen. Erst danach wird das Geheimnis gelüftet: "Torpedo" heißt die Freilauf-Nabe, die es dem Fahrer gestattet, die Beine auch in Ruhephasen auf den Pedalen zu lassen, die sich nun nicht mehr mit den Rädern drehen. Und eine Rücktrittbremse haben die damit ausgestatteten Fahrräder auch.
Mit ihrer Freilaufnabe schlagen Fichtel & Sachs die Konkurrenz aus dem Rennen, das Unternehmen wächst und wächst. Nach 1914 hat es bereits 10.000 Mitarbeiter. Sachs kauft sich ein Schloss, erwirbt ein Wappen und den Titel des Kommerzienrats, lebt, vor allem kulinarisch, in Saus und Braus. In den 1920er Jahren investiert er in neue Technologien und steigt in die Automobilbranche ein. Er stirbt 1932 relativ überraschend mit 64 Jahren in Schweinfurt. 30.000 Menschen stehen bei seiner Beerdigung an der Straße.
Willy Sachs führt das Familienunternehmen erfolgreich weiter, 1987 wird es an Mannesmann verkauft. Inzwischen ist es in US-amerikanischer Hand.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. November 2017 ebenfalls an Ernst Sachs. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 23.11.2017: Vor 40 Jahren: 1977: Start des europäischen Wettersatelliten "Meteosat 1"