"Um Blinde zu sehen, muss man geöffnete Augen haben." So lautet das Credo des evangelischen Pfarrers Ernst Jakob Christoffel. Er will nicht wegschauen, sondern vor allem in den Entwicklungsländern für Blinde Hilfe leisten. Aber nicht nur für Blinde.
Christoffel erkennt, dass eine Behinderung in Entwicklungsländern zwangsläufig in die Armut führt. Deshalb legt er den Grundstein für eine Organisation, die sich bis heute um behinderte Menschen in Entwicklungsländern kümmert: Die Christoffel Blindenmission (CBM).
"Niemand soll von unserer Tür gewiesen werden!"
Geboren wird Christoffel am 4. September 1876 im Rheydt bei Mönchengladbach. Seine Eltern sind sehr religiös und haben ein offenes Ohr für jeden, der in Not gerät. Glaube und Nächstenliebe spielen im Haus also seit jeher eine große Rolle. Christoffel führt diese Tradition in seinem Leben weiter. Nach seinem Theologiestudium in Basel reist er 1904 als Missionar in den Orient. Im selben Jahr ereilt ihn vom "Schweizer Hilfskomitee für Armenien" die Anfrage, ob er nicht die Leitung zweiter Waisenhäuser in der Türkei übernehmen wolle. Da die für den Posten eigentlich notwendige Ehefrau fehlt, begleitet ihn seine Schwester Hedwig.
Vor Ort bekommen beide vor allem das Elend der Blinden zu spüren. "Der größte Prozentsatz bettelt", schreibt Christoffel. "Blinde Mädchen und Frauen verfallen vielfach der Prostitution." In Deutschland versucht er eine Missionsgesellschaft zu finden, die bereit ist, diese Not zu lindern. Als er keine findet, sammelt er unter seinen Freunden Geld und reist 1908 in die Türkei zurück, um in Malatya das erste Heim für blinde Menschen zu gründen - und ihnen nicht zuletzt den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. "Niemand soll von unserer Tür gewiesen werden!", sagt Christoffel. So kommen bald auch Obdachlose, Waisen, Taube und Menschen mit anderer Behinderung – und zwar jedweder Religion.
Immer wieder aufgerappelt
Weil Christoffel auch armenische und kurdische Flüchtlinge aufnimmt und sich öffentlich für die vom Völkermord bedrohte armenische Minderheit einsetzt, wird er mit seiner Schwester 1919 aus der Türkei ausgewiesen. Er bereist daraufhin den Iran und gründet in Täbris und Isfahan weitere Heime. 1943 wird er als Deutscher von den Engländern verhaftet und verbringt drei Jahre in verschiedenen Lagern, wo er die Gefangenen seelsorgerisch betreut. Als er mit 70 Jahren entlassen wird, hat er abermals alles verloren bis auf die Kleidung, die er am Leibe trägt.
Aber Christoffel gibt nicht auf. 1949 gründet er ein Heim für Kriegsblinde in Nümbrecht bei Köln, zwei Jahre später reist er erneut in den Iran, um in Isfahan abermals ein Heim für behinderte Männer einzurichten. Hier stirbt er 1955. Die von ihm initiierte Christoffel Blindenmission existiert bis heute. Von Spenden finanziert, ist sie in 63 Ländern tätig und unterstützt über 650 Projekte für Menschen mit Behinderung weltweit, vorwiegend in Entwicklungsländern.
Programmtipps:
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. September 2016 ebenfalls an Ernst Jakob Christoffel. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 05.09.2016: Vor 10 Jahren: Erster Spatenstich für den neuen Berliner Flughafen