Erfurt gilt als "Blumenmetropole". Das verdankt die heutige Hauptstadt des Freistaates Thüringen vor allem ihrem Ratsherren Christian Reichart, der hier als Spross einer angesehenen und wohlhabenden Familie im Jahr 1685 geboren wird.
Reichart gilt als Begründer des modernen Nutzgartenbaus in Deutschland. Die vermutlich von ihm forcierte Anordnungen des Rats, den Obst- und Weinbau sowie den Kräuteranbau einzudämmen und stattdessen die Produktion von Gemüse durch die besondere Pflege der Gärten zu steigern, ebnet Erfurt den Weg in den wirtschaftlichen Aufschwung.
Brunnenkresse und Blumenkohl
Schon Reicharts Familie betreibt auf ihren ausgedehnten Landgütern bei Erfurt Acker- und Gartenbau: die Erträge gestatten Reichart ein Jurastudium an der städtischen Universität. Zunächst strebt er eine politische Laufbahn an und wird 1716 Mitglied des Stadtrats. 1720 macht ihn der Schlaganfall seines Stiefvaters plötzlich für die familieneigenen Ländereien verantwortlich. Dabei kann sich Reichart als Autodidakt auf dessen Erfahrungen zu Ökonomie und Anbau stützen, die er niederschreibt: eine nicht unwichtige Grundlage seines sechsbändigen Standartwerks "Land- und Gartenschatz" (1753-1774).
Bald schon kennt sich Reichart bestens mit Urbarmachung, Schädlingsbekämpfung und der Akklimatisierung von Samen aus. Der Anbau von Brunnenkresse im Dreibrunnengebiet von Erfurt geht auf ihn zurück. Auch passt er den aus dem Mittelmeerraum stammenden Blumenkohlsamen durch intensive Studien an das heimische Klima an und veredelt heimische Gemüsesorten. Bald versorgt die Pflanzenzucht von Erfurt autark Stadt und Umkreis.
Fortpflanzung durch Ausdünstung?
In der Folge entwickelt Reichart neben neuen Anbaumethoden und Konzepten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch neue Geräte für den Anbau von Pflanzen, darunter eine besonders effiziente Einradhacke zum Ausdünnen der Pflanzen oder eine ertragsteigernde Stachelwalze zum Auflockern des Bodens. Zudem betreibt er einen reichen Samen- und Zierpflanzenhandel mit mitteleuropäischen Ländern und etabliert die wissenschaftlich-praktische Ausbildung des Gärtnerberufs.
Immer wieder werfen Kritiker Reichert vor, die Landwirtschaft als Autodidakt erlernt zu haben. Aber der Erfolg gibt dem Argrarökonomen, der Zeit seines Lebens einflussreiche Ämter im Stadtrat bekleidet, Recht – auch wenn sich sein Glaube an die Fortpflanzung nicht durch Bestäubung, sondern infolge von Ausdünstungen sonnengetrockneter Pflanzensäfte als falsch erweist. Christian Reichart stirbt am 30. Juli 1775 in seiner Geburtsstadt Erfurt.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 30. Juli 2020 ebenfalls an Christian Reichart. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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