Im Ersten Weltkrieg drei Verletzungen und 32 Monate Gefangenschaft, im Zweiten Weltkrieg vier Jahre Exil und Widerstandsarbeit in London: Frankreichs General Charles de Gaulle hätte allen Grund, die Deutschen zu hassen. Doch 17 Jahre nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands streckt er die Hand zur Versöhnung aus.
Bei seinem ersten Staatsbesuch in der Bundesrepublik 1962 sagt er als französischer Präsident in seiner Ludwigsburger "Rede an die deutsche Jugend", er empfinde Vertrauen "für das große deutsche Volk". Und: "Es lebe Deutschland! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!"
Erster Präsident der Fünften Republik
Drei Monate zuvor ist Kanzler Konrad Adenauer (CDU) bereits zu Gast in Paris. De Gaulle sucht in ihm einen Verbündeten. Er will die machtorientierten USA aus Europa heraus drängen. Deshalb steigt Frankreich unter seiner Präsidentschaft zur Atomstreitmacht auf. Deshalb wird auch die deutsch-französische Freundschaft 1963 im Élysée-Vertrag besiegelt.
Doch Adenauer macht nicht, was de Gaulle von ihm will: Der Bundeskanzler distanziert sich nicht von den USA. Trotzdem steht de Gaulle im Zenit seiner Macht: Bereits 1958 ist die Verfassung der neuen Fünften Republik auf seine Person als Staatspräsident zugeschnitten worden. Und die Wiederwahl 1965 gegen den Sozialisten François Mitterrand gewinnt er mit 55 Prozent.
Flucht nach Baden-Baden
Dann der Schock für den am 22. November 1890 geborenen de Gaulle: 1968 erschüttern die Pariser Studenten-Revolte und die folgende Streikwelle seine Autorität. Die Protestierenden rufen: "De Gaulle ins Museum!"
Am 29. Mai 1968 setzt sich der Staatspräsident heimlich in einem Hubschrauber nach Baden-Baden ab. Doch der Oberkommandierende der französischen Streitkräfte in der Bundesrepublik appelliert an ihn, keine Fahnenflucht zu begehen.
Rücktritt nach Niederlage
De Gaulle entscheidet sich, im Amt zu bleiben, geht nach Frankreich zurück und verkündet Neuwahlen. Das bedeutet Zeitgewinn. Der Revolte geht derweil die Luft aus - und die Mehrheit wählt erneut de Gaulle.
Doch ein Jahr später bringt sich de Gaulle mit einem Volksentscheid, den er mit seinem Verbleib im Amt verknüpft, selbst zu Fall. Nach der Niederlage zieht er sich auf seinen Landsitz in Colombey-les-Deux-Églises zurück und schreibt seine Memoiren. Am 9. November 1970 stirbt er dort kurz vor seinem 80. Geburtstag.
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