Wie erreicht man bei überschaubarer Aufgabenstellung und jahrelanger Planung das größtmögliche Chaos? Schwierig, aber machbar. Das stellen Politik, Autohersteller und Mineralölwirtschaft bei der Markteinführung des Bio-Kraftstoff Super E10 vor fünf Jahren mustergültig unter Beweis.
Eigentlich sollte das "Öko-Benzin" mit zehn Prozent Anteil von biologisch erzeugtem Ethanol bereits seit Anfang 2009 an den Zapfsäulen verfügbar sein. Doch im April 2008 stoppt der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Einführung kurzfristig, weil Experten plötzlich warnen, die Motoren von mehr als drei Millionen Autos würden den neuen Sprit nicht vertragen.
Autofahrer ratlos
Drei Jahre nach Gabriels Vollbremsung kommt der Super-Biosprit am 7. Februar 2011 tatsächlich an die deutschen Tankstellen. Allerdings wagt es kaum jemand, zur E10-Zapfpistole zu greifen. Denn weder Autofahrer noch Tankwarte wurden verlässlich darüber informiert, welche Wagen das neue Benzin problemlos verdauen und wem ein Totalschaden am Motor droht. "Ich habe es selbst vorhin an der Tankstelle erlebt. Sie wussten nicht, ob es bei meinem Fahrzeug geht oder nicht", klagt kein Geringerer als der damalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Im Zweifel sollte der Herrr Minister halt eine andere Sorte tanken.
Den Vorwurf, der Staat sei seiner Informationspflicht nicht nachgekommen, wollen aber weder Brüderle noch der zuständige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf sich sitzen lassen. Die Mineralölwirtschaft habe schlicht ihr eigenes Produkt nicht vernünftig beworben, lässt Röttgen seine Sprecherin verkünden. Der Staat verkaufe schließlich weder Autos noch Benzin und baue auch keine Motoren, assistiert Brüderle. Die Industrie spielt den Schwarzen Peter prompt zurück: Die Politik habe Super E10 gewollt, also hätte sie auch darüber informieren müssen. Aufklärung für die Kunden gibt es von keiner Seite. Das Chaos ist komplett, als ein leitender BMW-Techniker öffentlich erklärt, dass Super E10 bei unzureichender Qualität die Motoren aller Autos schädigen könne – was der Konzern umgehend dementiert.
Energiepflanze verdrängt Nahrungspflanze
Die total verunsicherten Autofahrer meiden den vermeintlichen "Motorkiller" und tanken trotz höherer Preise lieber SuperPlus oder Super E5 mit nur fünfprozentigem Ethanolanteil. Das führt an vielen Tankstellen zu massiven Versorgungsengpässen. Zudem kündigen die Kraftstoffkonzerne an, die bei zu geringem Verkauf von Biosprit drohenden Geldbußen in andere Sorten einzupreisen. Mit einem "Benzin-Gipfel" Anfang März will Wirtschaftsminister Brüderle endlich Klarheit schaffen. Das einzige Ergebnis der Veranstaltung lautet: Die Bundesregierung hält an der E10-Einführung fest, die Werbung für den Biosprit soll verstärkt und die Information verbessert werden.
Nachdem in der Folgezeit keine Motorschäden bekannt werden, beruhigt sich die Lage. 2013 steigt der Anteil von E10 am Kraftstoffverkauf immerhin auf 15 Prozent. Die grundsätzliche Kritik von Umweltschützern aber verstummt nicht. Bereits 2011 hatte Grünen-Chef Cem Özdemir die beabsichtigte Reduzierung von CO2 durch Super E10 als "die uneffizienteste Weise" verworfen. Nur ein Drittel der zur Ethanol-Gewinnung nötigen Energie werde in Motorleistung umgesetzt. Am bedenklichsten beurteilen Ökologen die Verdrängung von Nahrungspflanzen zugunsten zuckerhaltiger Energiepflanzen, aus denen das Ethanol produziert wird. Seit der Biosprit-Einführung seien Nahrungsmittel erheblich teurer geworden, warnt etwa Katrin Wenz vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Daher würden sowohl die Weltbank als auch die UN-Agrar- und Ernährungsorganisation seit langem fordern, den Anbau von Energiepflanzen grundsätzlich zu beenden.
Stand: 07.02.2016
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