Die Atmosphäre im großen Konferenzsaal des Nobel-Hotels Shepherds in Kairo ist spürbar angespannt. Erstmals treffen Vertreter der großen anglo-amerikanischen Mineralölkonzerne mit Abgesandten der arabischen Ölförder-Länder und dem Öl-Staat Venezuela zu einem Kongress von historischer Tragweite zusammen. Auf der Tagesordnung steht an diesem 16. April 1959 eine höchst brisante Forderung der Gastgeber: Die einst unter beinahe kolonialen Bedingungen an den Westen vergebenen Bohr-Konzessionen sollen neu verhandelt werden. Scheich Abdullah Tariki, Chef-Unterhändler Saudi-Arabiens, des zweitgrößten Ölproduzenten im Nahen Osten, klärt mit für orientalische Verhältnisse schlichter Unverblümtheit die Fronten: "Wir sitzen auf dem Öl und die anderen wollen es haben."
1959 kostet der Liter Benzin an deutschen Tankstellen rund 60 Pfennig. Preisschwankungen gibt es nicht. Das verdanken die Autofahrer dem Kartell der "Sieben Schwestern", der sieben größten Erdölkonzerne, die den Markt seit Jahrzehnten unter sich aufgeteilt haben. Ihnen gehören ganz oder teilweise die regionalen Förderfirmen, wie etwa die mächtige ARAMCO, die Arabian-American Oil Company. Hat ein Ölstaat erst einmal eine Bohr-Konzession vergeben, so bestimmt fortan die westlich kontrollierte ARAMCO, wie viel gefördert wird, welchen Preis sie den Scheichs pro Barrel (159 Liter) zahlt und wohin das Öl abgesetzt wird. An den immensen Gewinnen, die mit dem Transport und den Endprodukten des schwarzen Goldes erzielt werden, sind die Förderländer überhaupt nicht beteiligt. In Kairo nun wollen die Öl produzierenden Staaten und Scheichtümer diese "ausbeuterischen Zustände" nicht länger hinnehmen.
Ohne Umschweife spielt Abdullah Tariki, von westlichen Medien "der rote Scheich" genannt, als Wortführer der arabischen Seite seinen höchsten Trumpf aus: "Wenn sie uns nicht als gleichberechtigte Partner akzeptieren …, wird ein Klima entstehen, in dem die Kommunisten am besten gedeihen." Doch trotz solch unverhohlener Drohungen bleibt die Konferenz von Kairo ohne greifbare Erfolge für die, die auf dem Öl sitzen. Wie wenig Exxon, Mobil Oil und Chevron, Shell, Gulf, Texaco und BP das Aufbegehren der Scheichs beeindruckt, zeigt sich im August 1960. Einseitig kürzen die Konzerne den Regierungen der Ölländer den Preis für ein Barrel um 0,14 Dollar. Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Einen Monat später gründen der Iran, der Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela in Bagdad die OPEC, die Organisation der Erdöl exportierenden Länder. Die Macht dieses Kartells bekommen die deutschen Autofahrer 1973 zu spüren. Weil die Scheichs den Hahn zudrehen, lernen die Bundesbürger das Wort Ölkrise und die Vorzüge von autofreien Sonntagen kennen.
Stand: 16.04.09