Christian Wulff im Bundestag

Stichtag

30. Juni 2010 - Christian Wulff zum Bundespräsidenten gewählt

Es ist bereits 21.14 Uhr als Christian Wulff am 30. Juni 2010 endlich den präsidialen Blumenstrauß in der Hand hält. Drei Wahlgänge hat der schwarz-gelbe Kandidat gebraucht, bis die Bundesversammlung ihn zum Bundespräsidenten und Nachfolger vom zurückgetretenen Horst Köhler gemacht hat. Wulff gibt sich gelassen: Um Ministerpräsident von Niedersachsen zu werden, habe er auch drei Anläufe gebraucht, sagt er. Das habe allerdings neun Jahre gedauert. Gemessen daran habe er die Bundesversammlung als kurz erlebt.

Angela Merkel sind dagegen an diesem heißen Sommertag die Mundwinkel sichtlich nach unten gerutscht. Zwar verfügt Schwarz-Gelb über die Mehrheit in der Bundesversammlung, doch die vielen Abweichler aus ihren Reihen brüskieren die Kanzlerin und ziehen die Wahl in die Länge. Genau so hat sich das die Opposition vorgestellt, die mit Joachim Gauck den perfekten Gegenkandidaten ins Rennen geschickt hat. Kein Politiker, sondern ein ehemaliger Pfarrer, der in der DDR Standhaftigkeit und Zivilcourage bewiesen hat. Wulff dagegen habe eine Laufbahn, kein Leben, lästert Oppositionspolitiker Sigmar Gabriel.

Steiler Aufstieg in der CDU

Tatsächlich hat Wulff eine vorbildliche Parteikarriere hinter sich. 1959 in Osnabrück geboren, tritt er schon als Schüler der CDU bei, sitzt auf vielen Posten: Landesvorsitzender der Jungen Union Niedersachsen, CDU Landesvorstand, CDU-Landesvorsitzender, Ministerpräsident von Niedersachsen. Einige unterstellen Merkel, dass sie Wulff nur zum Präsidenten machen will, damit sie sich ihren einzigen ernsthaften Konkurrenten aus dem Weg schafft.

Doch Wulff gibt sich staatsmännisch. Schon bei seiner Antrittsrede spricht der Bundespräsident von der "bunten Republik Deutschland". Wulff wirbt für Toleranz und Integration. Drei Monate später, am Tag der Deutschen Einheit, sagt er: "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Ein Satz für die Geschichtsbücher und ein versöhnlicher Kontrapunkt für viele muslimische Einwanderer, nachdem Thilo Sarrazin zuvor mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" hitzige Debatten über die Grenzen der Integration ausgelöst hat.

Rücktritt im Februar 2012

Wulff gilt fortan als das moderne, weltoffene Antlitz der Christdemokraten. Dank seiner jungen Frau Bettina wirkt der einstige Parteisoldat locker und gelöst. Und: Zum ersten Mal bringt ein Präsidentenpaar kleine Kinder mit – ein gemeinsames, eins aus ihrer früheren Beziehung. Wulff hat ebenfalls eine Tochter aus erster Ehe: Patchwork-Glück im Schloss Bellevue. Christian und Bettina Wulff sind das neuer Berliner Glamour-Paar. Doch im Dezember 2011 gerät die heile Welt des Präsidenten ins Wanken. Die "Bildzeitung" findet heraus, dass Freunde ihm Geld für sein Klinkerhaus in Großburgwedel geliehen haben. Das Boulevardblatt titelt "Bundespräsident Wulff: Wirbel um Privatkredit!"

Wulff verteidigt sich: "Ich möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo man sich von Freunden kein Geld mehr leihen kann!" Allerdings hat er davor wochenlang geschwiegen – und damit den Rechercheeifer der Medien angefacht. Immer mehr Vorwürfe kommen ans Licht: kostenlose Flitterwochen bei einem Versicherungsmanager, ein unbezahltes Upgrade in die Businessclass, Mallorca-Urlaub bei Maschmeyer. Als dann schließlich auch die Staatsanwaltschaft ermitteln will, wird der Druck zu groß. Christian Wulff tritt am 17. Februar 2012 zurück, nach nur 598 Tagen im Amt.

Eineinhalb Jahre später wird der Prozess eröffnet - verhandelt wird allerdings nur über ein Mosaiksteinchen der Affäre: Wulffs Übernachtung in einem Münchner Hotel, die der Filmproduzent David Groenewold zum Teil bezahlt haben soll. Im Gegenzug, so die Anklage, habe Wulff die Firma Siemens um Unterstützung für eins von Groenewolds Filmprojekten gebeten. Doch ein Fehlverhalten kann Wulff nicht nachgewiesen werden, er wird am 13. Juni 2014 freigesprochen.

Stand: 30.06.2015

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