Uwe Barschel reist am 24. August 1987 in die kleine Gemeinde Kaiser-Wilhem-Koog an der Elbmündung, um persönlich den Hebel umzulegen. Um 12 Uhr 12 geht Deutschlands erster Windpark ans Netz und der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein wünscht: "Ständig kräftigen Wind von vorne".
Die nordische Brise muss mit mindestens vier Metern pro Sekunde wehen, damit die 30 neu errichteten Rotoren auch Strom erzeugen. Diese sollen fortan jährlich zwei Millionen Kilowattstunden Energie produzieren. "Das reicht für die Versorgung von über 400 Haushalten", heißt es abends in den Tagesthemen.
Neues Projekt nach Growian
Der 20 Hektar große Windenergiepark Westküste nutzt die Infrastruktur eines gescheiterten Projekts. Vier Jahre zuvor hatte man die Premiere der seinerzeit größte Windenergieanlage Growian gefeiert. Die riesige Windmühle mit einem Flügel-Durchmesser von mehr als 100 Metern sollte 250 Einfamilienhäuser mit Strom versorgen. Tatsächlich muss die Anlage nach vielen technischen Problemen stillgelegt und abgebaut werden.
Doch nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl will man die Windenergie nicht abschreiben. Die Industrie zieht Lehren aus dem Growian-Desaster: Wenn Windenergie eine Chance hat, dann mit vielen kleinen Turbinen anstatt mit einer einzigen Riesenanlage. Mehr als fünf Millionen Mark investiert ein Konsortium aus Industrie, Landkreisen und Forschung in den Windenergiepark Westküste.
Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen
Die Erwartungen an die Anlage sind nach dem Growian-Desaster eher bescheiden. "Bis zum Jahre 2000 sollte die Windenergie zum Stromverbrauch bei uns in Schleswig-Holstein einen Beitrag von rund 2,5 Prozent leisten", fordert Ministerpräsident Barschel. Nicht nur seine Erwartungen werden weit übertroffen werden.
Die sechs bis sieben Meter langen Flügel drehen sich zuverlässig, die Testmühlen erzeugen die gewünschte Strommenge und werfen - auch dank staatlichen Subventionen - Gewinne ab. Mit dem Windpark Westküste beginnt ein rasanter Aufschwung der Windenergie - mit vielen Innovationen. Eine moderne Windanlage erbringt die 80-fache Leistung der ersten Mühlen an der Elbmündung.
Wichtiger Wirtschaftsfaktor Windkraft
Schleswig-Holstein kann seinen Strom heute zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Windkraft ist zudem zum wichtigen Wirtschaftsfaktor mit bundesweit 149.200 Arbeitsplätzen geworden (Stand: 31.12.2014). Allein in NRW sind rund 3.100 Windkraftanlagen am Netz (Ende 2015).
Mit der steigenden Anzahl der Windräder wächst auch die Kritik. Anwohner beklagen die Verschandelung des Landschaftsbildes, laute Betriebsgeräusche und den Schattenwurf der drehenden Rotoren. Tierschützer sehen die langen Blätter als Todesfalle für Vögel. Die Auflagen für Windparks werden strenger.
Auch in Kaiser-Wilhelm-Koog kämpft man derzeit für den Erhalt des ersten Windparks, der nur 800 Meter von der Küste entfernt liegt. Denn nach neuen Gesetzen müssten die Anlagen dort einen Abstand von 3.000 Meter haben.
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Stichtag am 25.08.2017: Vor 50 Jahren: Beginn des Farbfernsehens in Deutschland