29. Juni 1907 – Bildhauerin Elisabet Ney stirbt in Austin
Stand: 14.06.2022, 10:45 Uhr
Gesegnet mit viel Talent forciert Elisabet Ney ihre Karriere als Bildhauerin, indem sie berühmte Persönlichkeiten ihrer Zeit modelliert. Dabei weiß die selbstbewusste Künstlerin genau, wie sie einflussreiche Männer für sich gewinnen kann.
Der menschenscheue König Ludwig II. will Elisabet Ney gerade einmal zwei Stunden für eine Porträtsitzung gewähren. Doch während die Bildhauerin sein Gesicht skizziert, lässt sie geschickt einige galante Kommentare fallen und bezaubert den Bayernkönig so, dass er bereitwillig weiteren Treffen zustimmt.
Dafür modelliert sie Ludwigs Kopf so lebensecht, dass es eines ihrer besten Werke wird. "Ich habe so ein Gefühl, als habe ich durch alle Labyrinthe mich nun endlich doch glorreich hindurch gewunden, den ersehnten Gipfel errungen", hält Elisabet Ney auf dem Höhepunkt ihrer Karriere fest.
Studium in München und Berlin
Mit 36 Jahren ist Elisabet Ney dort angelangt, wo sie immer hin wollte. "Ich wünsche, die Großen der Welt kennenzulernen", hat die 1833 geborene Tochter eines Steinmetz in jungen Jahren beschlossen. In der väterlichen Werkstatt in Münster lernt sie die handwerklichen Grundlagen – und zeigt schon da ein außergewöhnliches Talent.
Obwohl Frauen offiziell das Studium noch nicht erlaubt ist, wird sie an der Akademie der Künste in München angenommen. Ney überzeugt nicht nur die bayerischen Professoren. Mit einem Stipendium bekommt sie in Berlin bei Christian Daniel Rauch, dem Bildhauer-Star ihrer Zeit, den letzten Schliff.
Star der Berliner Salons
Schopenhauer-Büste von Elisabet Ney
Die junge Bildhauerin wird schnell zur Attraktion der Berliner Salons: Sie ist geistreich und redegewandt, trägt die braunen Locken provozierend kurz, dazu schlichte Samt-Kleider ohne Korsett, die ihren lässigen, selbstbewussten Auftritt betonen.
Jacob Grimm, Alexander von Humboldt und der Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi lassen sich bereitwillig von der jungen Frau porträtieren. Arthur Schopenhauer sitzt samt Pudel bei ihr Modell. Die Schopenhauer-Büste wird einer ihrer Verkaufsschlager, denn die Künstlerin verdient vor allem an den Gips-Reproduktionen. Ney ist wahrscheinlich die erste Bildhauerin, die von ihrer Arbeit leben kann.
"Sie kann sich nicht unterordnen".
Den zahlreichen Verehrern zeigt sie die kalte Schulter. Ney inszeniert sich als Amazone, die ihr Leben ganz der Kunst unterordnet. "Sie ist weder Frau noch Mädchen, sondern eine Künstlerin, und damit ist alles gesagt", sagt ihr Freund, der Chemiker Justus von Liebig. "Sie kann sich nicht unterordnen".
Dass sie mit dem schottischen Mediziner Edmund Montgomery verheiratet ist, hält Elisabet Ney geheim – auch weil verheiratete Frauen damals nur mit Zustimmung ihres Mannes Verträge abschließen dürfen: Unvorstellbar für die selbständige und selbstbewusste Elisabet Ney.
Als sie schwanger wird, wandert die Bildhauerin mit ihrem Ehemann in die USA aus. Dort betreibt sie zunächst eine Plantage. Doch als das Geld ausgeht, greift Ney wieder zum Meißel – und startet eine zweite Karriere in Texas.
Büsten für die Weltausstellung 1893
Berühmt wird Elisabet Ney vor allem, als sie für die Weltausstellung 1893 in Chicago die Statuen der texanischen Gründungsväter Sam Houston und Stephen F. Austin fertigt, die heute im Kapitol in Washington stehen. Sie stirbt am 29. Juni 1907 mit 74 Jahren in Austin.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Christiane Kopka
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 29. Juni 2022 an Elisabet Ney. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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