Zehn Monate sind vergangen, seit Martin Luther in Wittenberg 95 Thesen gegen den Ablasshandel verkündet hat; die Reformation nimmt ihren welthistorischen Lauf. Da holt im August 1518 Sachsens Kurfürst Friedrich der Weise einen jungen Professor an die Universität der Stadt. Großen Eindruck macht der neue Lehrstuhlinhaber für Altgriechisch allerdings nicht bei seiner Ankunft.
"Eine kleine, magere unachtbare Person, man könnt glauben, er wäre ein Knabe nicht über 18 Jahre", berichtet ein Student. Sein Erstaunen ist verständlich. Denn der frisch berufene, nur etwa 1,50 Meter große Ordinarius mit leiser, lispelnder Stimme ist erst 21 Jahre alt.
Urheber des Gymnasiums
Dennoch wird Philipp Melanchthon schon bald in halb Europa in aller Munde sein. In seiner Antrittsvorlesung überzeugt er das Auditorium mit überragender Bildung und messerscharfem Verstand. "Lernt Griechisch", fordert Melanchthon die Studenten vehement auf. Nur dann seien sie fähig, in den alten Schriften "bis zur Sache selbst vorzudringen, statt nur deren Schatten zu umarmen."
Melanchthon schreibt die Lehrbücher um und entwirft radikal neue Bildungskonzepte für die Universitäten. In Nürnberg unterstützt er 1526 die Gründung der ersten so genannten "Hohen Schule", die zum Vorbild für das Gymnasium wird. Der junge Gräzist, bald als "Praeceptor Germaniae" - Lehrer Deutschlands - geehrt, beherrscht sein Fach, die Sprache der Wissenschaft, schon in der Kindheit.
Luthers kongenialer Mitstreiter
Als Philipp Schwartzerdt wird er am 16. Februar 1497 in Bretten geboren. An der Pforzheimer Lateinschule macht der hochbegabte Knabe solche Fortschritte, dass ein Großonkel, der Humanist Johannes Reuchlin, seinen Nachnamen ins Griechische überträgt: So wird aus Schwartzerdt Melanchthon (schwarze Erde = mélas chton).
Mit zwölf Jahren beginnt Philipp Melanchthon in Heidelberg sein Studium, das er 1518 in Tübingen abschließt. Noch im selben Jahr stiftet Sachsens Kurfürst für ihn in Wittenberg den zweiten deutschen Lehrstuhl für Gräzistik. Schnell wird auch Martin Luther auf den sprachgewaltigen Humanisten aufmerksam.
Beide suchen dasselbe: Die wahre Bestimmung der Menschen vor Gott und eine Sprache, um sie für die neue Lehre zu begeistern. In Melanchthon findet Luther einen kongenialen Mitstreiter, der all die Fähigkeiten besitzt, die dem ketzerischen Augustinermönch fehlen: Besonnenheit, Geduld und Herzlichkeit.
Zwischen allen Fronten
Während der von Kaiser Karl V. geächtete Reformator auf der Wartburg untertaucht, führt Melanchthon die Sache der Reformation mit ganzer Kraft weiter. Er schreibt die ersten Lehrbücher des neuen Glaubens und vertritt Luther bei Disputationen mit Kirchenvertretern und anderen Reformatoren. 1530 formuliert Melanchthon die "Confessio Augustana", das grundlegende lutherische Bekenntnis, das dem Kaiser auf dem Reichstag zu Augsburg vorgelegt wird.
Als kurz nach Luthers Tod 1546 Krieg zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Schmalkaldischen Bund der Protestanten ausbricht, ist Melanchthon mit seiner Diplomatie der Annäherung am Ende. Zwar arbeitet er in Wittenberg weiter unermüdlich, verfasst Hunderte von Traktaten, gerät aber immer tiefer in die Isolation. Viele seiner ehemaligen Schüler wenden sich feindselig gegen ihn. Philipp Melanchthon leidet schwer unter seinem Scheitern.
"Das ist die große Tragik Melanchthons: Am Ende, verlassen von den eigenen Leuten und verlassen von der katholischen Seite, einsam zu sterben", urteilt der Direktor der Stiftung Luther-Gedenkstätten, Stefan Rhein. Psychosomatische Krankheiten und schwere Depressionen bis hin zu Todeswünschen kennzeichnen Philipp Melanchthons letzte Lebensjahre. Mit 63 Jahren stirbt er am 19. April 1560 in Wittenberg.
Autor des Hörfunkbeitrags: Uwe Schulz
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. Februar 2022 an Philipp Melanchthon. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 17.02.2022: Vor 200 Jahren: Geburtstag des Dichters Georg Weerth