In den 1920er-Jahren macht Kurt Lewin Experimente und dreht Filme. Er will anhand des kindlichen Verhaltens seine psychologischen Thesen überprüfen. In einem Film ist Günther zu sehen. Der kleine Junge versucht, ein Spielzeug zu erreichen, das mit Drähten eingezäunt ist. Doch das gelingt ihm nicht. Günther wird unruhig und wirkt sichtbar frustriert.
"Ein netter Junge, ganz nach meiner Theorie", sagt Kurt Lewin im Off des Films. Der Psychologe hat die soziale Feldtheorie entwickelt: Wie Menschen handeln und fühlen, ist immer von der Gesamtsituation abhängig. Es gibt Faktoren, die uns anziehen oder abstoßen. Es wirken gleichzeitig Zug- und Druckkräfte unterschiedlichster Art. Das führt zu Konflikten, die überwunden werden müssen.
Möglichst exakt messen
Günthers Unruhe ist Zeichen eines solchen Konflikts. Das Spielzeug reizt ihn, die Drähte halten ihn ab. Diese Konstellation bestimmt seinen Weg: Der Junge entscheidet sich, über die Absperrung zu klettern. So löst er den Konflikt zwischen Begehren und vermeintlicher Unerreichbarkeit.
Der 1890 in der Provinz Posen geborene Lewin will bei seinen Forschungen psychische und soziale Kräfte beschreiben - und zwar möglichst so exakt wie Naturwissenschaftler Messwerte angeben. Schon als Schüler ist er besonders gut in Physik und Mathematik.
Flucht in die USA
Der Sohn jüdischer Eltern studiert zunächst Medizin. Da ihm beim Präparieren von Leichen schlecht wird, wechselt er zu Philosophie und Psychologie. In seinen Filmen dokumentiert Lewin immer wieder, wie sehr Kinder von ihrer Umwelt - dem sozialen Feld - geprägt werden.
Das widerspricht der Ideologie der Nationalsozialisten diametral, die von biologistischen Faktoren wie "Volkszugehörigkeit" und "Blut" schwafeln. Lewin flieht 1933 mit Frau und Kindern in die USA. Dort kann er an der Universität von Iowa weiterarbeiten.
Führungsstil, Feedback, Gruppendynamik
Neben Entwicklungs- und Erziehungsfragen befasst sich Lewin auch mit Führungsstilen. Seine Erkenntnis: In autoritär geführten Gruppen sind Kinder unproduktiver, als ihn demokratisch geführten Gruppen, in denen Kinder mitwirken können und nicht Befehlen gehorchen müssen.
Lewin berät Unternehmen, Ministerien, Kommunen und soziale Einrichtungen. Er entdeckt die Methode des Feedbacks und gründet 1944 ein Forschungsinstitut für Gruppendynamik. Daneben schreibt der Workaholic auch Bücher. Am 12. Februar 1947 versagt sein Herz. Kurt Lewin stirbt mit 56 Jahren in Newtonville im US-Bundesstaat Massachusetts.
Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 12. Februar 2022 an Kurt Lewin. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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