In seiner Heimatstadt Königsberg wird der 1724 geborene Immanuel Kant - ein kleiner, zarter, etwas kränklicher Mann – durchaus geschätzt, denn er ist geistreich und in jüngeren Jahren gerne auch Mittelpunkt der guten Gesellschaft, modisch gekleidet und etwas eitel. Doch mit etwa 40 Jahren ändert er sich.
Von da an steckt Kant seine ganze Energie in die philosophische Arbeit: geregelter Tagesablauf, mittags Gäste und anregende Gespräche, auf keinen Fall heiraten, das lenkt nur ab, ansonsten denken und schreiben, schreiben und denken. Zwischen 1781 und 1790 entstanden so: "Kritik der reinen Vernunft", "Kritik der praktischen Vernunft", "Kritik der Urteilskraft".
In den Augen seiner Zeitgenossen öffnet Kant durch sein Werk eine Tür zur Freiheit. Intellektuelle und Künstler feierten ihn als Galionsfigur der Aufklärung. Kant ist ein Verfechter der Französischen Revolution von 1789.
Praktizierte Moral
Grob gesehen zerfällt das Kantsche Riesenwerk in zwei Teile: die Erkenntnistheorie und die Ethik. Die zeitgenössische Bewunderung gilt vor allem dem abstrakten Kant mit seiner Erkenntnistheorie - eher etwas für geschulte Leser. Anders und auf die Dauer viel wirkungsmächtiger aber ist Kants praxisbezogene Ethik. Anders als seine Erkenntnistheorie spielt Kants Ethik auch im Alltag eine wichtige Rolle: als die praktizierte Moral.
Wie löst man zum Beispiel den Konflikt zwischen dem Wunsch nach Nähe und sozialem Zusammenspiel und dem Bedürfnis des Einzelnen nach Abgrenzung und Distanz? Kant dazu: "Vermöge des Prinzips der Wechselliebe sind sie angewiesen, einander ständig zu nähern - durch das der Achtung, die sie einander schuldig sind, sich im Abstande voneinander zu halten."
Ein ständiger Kampf um Balance also – und die gelingt nur mit der Hilfe von Regeln, die durch die Vernunft gefunden werden: mit dem berühmten Kantschen "kategorischen Imperativs": "Handle so, dass dein Handeln Richtschnur für eine allgemeine Gesetzgebung sein könnte."
Immer wieder steigt er von Höhen der Theorie in die Ebenen des Alltags hinab. Lügen lehnt er zwar strikt ab – aber was ist mit der Höflichkeit, oft nicht viel mehr als schöner Schein? Für ihn gehört sie zu den "Umgangstugenden", die dazu dienen, die hehre Moral lebbar zu machen.
Pflicht zu grundsätzlicher Achtung
Und so schreibt Immanuel Kant in seinen Ausführungen "Von den Tugendpflichten gegen andere" von der Liebespflicht, von der Pflicht zur Wohltätigkeit und der zur Dankbarkeit. Vor allem aber schreibt er von etwas, was in unserer Zeit als der vielleicht wichtigste Gedanke des Philosophen angesehen wird: von der Pflicht zur grundsätzlichen Achtung, die jeder Mensch einem anderen als Menschen schuldet - also von der Achtung der Menschenwürde.
Kant: "Ein jeder Mensch hat rechtmäßig Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden. Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (....) bloß als Mittel, sondern muss jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden."
Autorin des Hörfunkbeitrags: Jutta Duhm-Heitzmann
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 25. Dezember 2022 an Immanuel Kants Schrift über "Tugendpflichten". Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 26.12.2022: Vor 110 Jahren: Erscheinen der Biene-Maja-Geschichten