Auf dem Osterfeld bei Kopenhagen sind 30.000 Schaulustige zusammengeströmt. Sie warten begierig auf das blutige Schauspiel, das für diesen Morgen angekündigt ist: Die Hinrichtung des Grafen Johann Friedrich Struensee und seines Freundes Enevold Brandt.
Das Urteil könnte grausamer nicht sein: "Es soll Johann Friedrich Struensees rechte Hand und darauf sein Kopf ihm lebendig abgehauen, sein Körper gevierteilt und aufs Rad gelegt, der Kopf mit der Hand aber auf einen Pfahl gesteckt werden."
Ein brutales Spektakel
Brandt, der bis zuletzt auf Begnadigung gehofft hat, muss die entsetzliche Prozedur als erster erleiden. Gegen 9 Uhr steigt dann Struensee aus der Kutsche. Höflich grüßt der 34-Jährige in die Runde, bevor er sich zum Gerüst schleppt.
Der Historiker Martin Krieger: "Er war schon verletzt, ist ja misshandelt worden im Gefängnis, und mit Mühe und Not kann er das Schafott erklimmen, muss sich helfen lassen, und der Henker schafft es auch nicht, ihm beim ersten Hieb die Hand abzuhacken, er braucht also zwei Hiebe, das muss unglaublich schmerzhaft gewesen sein - wir wissen, dass Struensee sich da aufbäumt - und dann der Kopf, der wird dann in die Höhe gehalten, das war ein Spektakel."
Spektakulärer Aufstieg und Fall
Die schauerliche Hinrichtung sorgt in ganz Europa für Aufsehen - ebenso wie der kuriose Aufstieg Struensees de facto zum "Alleinherrscher" von Dänemark: 1769 kommt der Armenarzt aus Altona an den Hof Christians VII. und steigt schnell zum Leibarzt des psychisch kranken jungen Königs auf. Christian überträgt dem Vertrauten, der den Regenten geschickt manipuliert, schließlich eine Generalvollmacht, so dass Struensee ab 1771 quasi allein regieren kann.
"Er holt sich dann einen Freund aus Altona, Enevold Brandt. Der wird zum Theaterdirektor ernannt und seine einzige Aufgabe ist, Christian VII. zu unterhalten, dass er die Klappe hält", sagt der Historiker Martin Krieger.
Vom Schreibtisch aus plant er eine Revolution von oben: In 16 Monaten erlässt der zum Graf erhobene Struensee hunderte Dekrete, in denen er unter anderem Folter und Sklavenhandel abschafft und die Pressefreiheit einführt. Doch in seiner Arroganz und Selbstherrlichkeit macht sich der Aufklärer schnell viele Feinde - zumal er nach wie vor kein Dänisch, sondern weiter Deutsch spricht.
Gehörnter König
Seine aufklärerischen Reformen rufen nicht nur Kritik hervor, sie werden auch gegen ihn genutzt: Die neue Pressefreiheit richtet sich schon bald gegen ihn selbst und sein inniges Verhältnis zur Königin Caroline Mathilde: Mit ihr hat Struensee eine Affäre und versucht diese in seiner Arroganz gar nicht erst geheim zu halten. Im Sommer 1771 bekommt die Königin eine Tochter, die überall nur "Prinzessin Struensee" genannt wird.
Nach einem Maskenball im Januar 1772 schlagen seine Gegner zu. Der Historiker Krieger: "In der Nacht wird der Monarch überrumpelt, muss ein Dekret unterschreiben, das die Inhaftierung Struensees befiehlt. Struensee wird eingekerkert und es kommt dann zu einem Prozess, einem mehrwöchigen Prozess. Er ist verurteilt worden wegen Hochverrats, gegen den König, gegen das Königshaus, als Usurpator und als Ehebrecher."
Autorin des Hörfunkbeitrags: Christiane Kopka
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 28. April 2022 an die Hinrichtung des Grafen Struensee. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 29.04.2022: Vor 10 Jahren: Todestag des französischen Erfinders Roland Moreno