Entertainer oder Schauspieler mag er nicht genannt werden, darauf legt Georg Kreisler wert. Und erst recht nicht "Wiener Kabarettist". Das Kabarett ist nur ein kleiner Teil seines künstlerischen Spektrums - und die Wiener sind ihm viel zu suspekt. Wie paradiesisch wäre ein "Wien ohne Wiener", ätzt er mit rabenschwarzem Humor in einem seiner bekanntesten Lieder.
Der Mann mit der riesigen Brille im verschmitzten Knautschgesicht passt in keine gängige Schublade. Georg Kreisler hat Komposition studiert, Klavier und Geige erlernt, er dichtet und schreibt Bücher und Bühnenwerke. Unvergessen bleibt Georg Kreisler aber vor allem als Sänger hintergründiger, oft bissig-anarchischer Chansons wie "Tauben vergiften im Park".
Unterhaltung für die D-Day-Truppen
Kreislers kulturelle Wurzeln liegen unverkennbar in Wien, wo der Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts 1922 geboren wird. Schon als Kind bekommt er in seiner Heimatstadt offenen Antisemitismus zu spüren. 1938, nach dem "Anschluss" Österreichs an das Nazi-Reich, emigriert die Familie mit Hilfe eines in Hollywood tätigen Verwandten in die US-Filmmetropole.
Volljährig geworden nimmt Georg Kreisler 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und kommt als US-Soldat zurück nach Europa. Die Front bleibt ihm erspart; in England unterhält er die Truppen des D-Day mit Theaterabenden und selbst verfassten Shows. Nach Kriegsende arbeitet Kreisler unter anderem mit Charlie Chaplin und Hanns Eisler an Filmmusiken, doch Fuß fassen kann er nicht in Hollywood.
Einige Zeit tingelt Kreisler als Unterhalter durch Nachtclubs und sucht in New York sein Glück mit Plattenaufnahmen. Doch seine zeitkritischen und makabren Lieder wie "My psychoanalyst is an idiot" oder "Please Shoot Your Husband" überfordern das Humorverständnis seiner neuen Landsleute.
Als Amerikaner zurück in Wien
So packt Georg Kreisler 1956 die Koffer und kehrt heim nach Wien, wo er mit Kabarettisten wie Helmut Qualtinger und Gerhard Bronner in Kontakt kommt. Dort trägt er auch am Klavier mit virtuoser Mimik seine abgründigen Lieder vor; "Taubenvergiften im Park" macht ihn 1958 auf einen Schlag berühmt. Kreisler selbst mag seinen größten Hit nicht besonders, Allein der Titel, stöhnt er, "drückt mir schon wieder ein Etikett auf, und ich bin kein Freund von Etikettierungen."
Nicht minder wehrt sich Kreisler dagegen, weiter als Österreicher bezeichnet zu werden - aus leidvoller Erfahrung: "Denn nach Kriegsende 1945 wurden die Österreicher, die 1938 Deutsche geworden waren, automatisch wieder Österreicher. Aber nur diejenigen, die die Nazizeit mitgemacht hatten. Wer unter Lebensgefahr ins Ausland geflüchtet war wie ich, bekam seine österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr zurück.“
Böses schreiben, um Gutes zu bewirken
Während Kreisler rastlos im Auto von Konzert zu Konzert reist, spielt er kurz mit der Idee, sich in Israel niederzulassen. Doch er zieht nach München, 1976 weiter nach Berlin, später nach Salzburg und Basel. Er komponiert Bühnenstücke, die allerdings ebenso selten aufgeführt werden wie seine Klavierkompositionen.
Das Publikum will immer nur die morbid-bösen Lieder wie "Tauben vergiften", "Wien ohne Wiener" oder "Der Tod muss a Wiener sein" – oder lehnt ihn als notorischen Nestbeschmutzer ab. Dabei habe "ein Großteil von dem, was ich geschrieben habe, mit schwarzem Humor nichts zu tun", betont Kreisler im Rückblick. "Wenn man etwas Böses schreibt, so will man damit ja das Gute bewirken."
2001 zieht er sich von der Bühne zurück. Schwermütig, so bekennt er, mache ihn nicht das Vergangene, sondern die Gegenwart und die Zukunft: "Ich finde, dass sich unsere Welt nicht in die richtige Richtung entwickelt." Am 22. November 2011 stirbt Georg Kreisler mit 89 Jahren in seiner letzten Wahlheimat Salzburg.
Autor des Hörfunkbeitrags: Christoph Vratz
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. November 2021 an Georg Kreisler. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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