Sie ist eine waschechte Kennedy, aber "nur" eine Frau. Für ihren Vater, Clan-Chef Joseph P. Kennedy, zählen allein die Söhne John F. und Robert. Sie sollen verwirklichen, was ihm selbst verwehrt blieb: der Aufstieg ins Weiße Haus. Eunice dagegen, das fünfte Kind der Ostküsten-Dynastie, "nahm man einfach nicht wahr", schreibt ihre Biografin Eileen McNamara.
Obwohl die intelligente junge Frau einen Stanford-Abschluss in Soziologie hat, erhält sie keine Chance, Karriere in der Politik oder im öffentlichen Leben zu machen. In den 50er Jahren schreibt Eunice anklagend an ihren Vater: "Daddy, du investierst so viel Zeit in die Karriere aller anderen. Aber was ist mit mir?"
Behinderte Schwester "ein Störfaktor"
Als Eunice am 10. Juli 1921 zur Welt kommt, hat sie eine drei Jahre ältere Schwester. "Rosemary wurde mit einem leichten Grad geistiger Behinderung geboren", so die Biografin McNamara. Für Vater Joseph Kennedy "passt Rosemary überhaupt nicht in das Konzept einer perfekten Tochter." Zu einer lebenslustigen Frau herangewachsen, sieht er in ihr nur noch einen Störfaktor für die Ambitionen der Familie.
1941 lässt Joseph Kennedy an seiner Tochter eine Gehirnoperation durchführen, die völlig missglückt. Danach ist Rosemary geistig und körperlich schwerst behindert. Kennedy schiebt sie in eine Heilanstalt ab und streicht sie aus dem Familienleben; Rosemary zu besuchen oder über sie zu sprechen, ist tabu. Auch Eunice wagt nicht, gegen den übermächtigen Vater zu opponieren. Doch Rosemarys erschütterndes Schicksal wird sie nicht mehr loslassen.
Sommercamp im Kennedy-Garten
Erst als Joseph Kennedy 1961 durch einen Schlaganfall sein Sprachvermögen verliert, handelt die inzwischen mit dem Politiker Sargent Shriver verheiratete Eunice. "Sie holte Rosemary zurück in die Mitte der Familie, denn Joe konnte nicht mehr widersprechen," schreibt McNamara in ihrer Biografie. Bald darauf erreichen Eunice Kennedy Shriver Klagen zahlreicher Eltern, deren behinderte Kinder nicht an Sommercamps teilnehmen dürfen.
"In einem Monat beginnt ein Camp in meinem Garten" verkündet sie daraufhin im Sommer 1962, "jeden Tag von neun bis drei. Bringen Sie Ihr Kind her!" Ihr damals vierjähriger Sohn Timothy erlebt mit, wie sich der Kennedy-Garten in einen Spielplatz mit Pool, Ponyreiten und Sportturnieren verwandelt. Die neuen Spielkameraden "waren lustig und sie waren meine Freunde", erinnert sich Timothy Kennedy. "Ich begriff noch nicht, dass sie intellektuell eingeschränkt waren. Ich wusste nur: Ich will mit ihnen spielen."
John F. Kennedy reformiert Inklusion
Eunice Kennedy Shriver hat ihre Lebensaufgabe gefunden: Menschen, die mit Down-Syndrom und anderen geistigen Handicaps leben, einen würdigen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. So entsteht durch ihr Engagement die weltgrößte Veranstaltung im Behindertensport. Sechs Jahre nach dem Sommercamp im Kennedy-Garten eröffnet sie 1968 die ersten Special Olympics.
Für ihr Ziel spannt Eunice Kennedy Shriver die ganze Familie ein. John F. Kennedy, ihr Präsidenten-Bruder, reformiert noch kurz vor seiner Ermordung umfassend die Rechte und Betreuung von Menschen mit geistigen Einschränkungen. Energisch treibt sie den Aufbau des Kennedy Institute of Ethics an der Georgetown University voran.
Alle fünf Kinder von Eunice Kennedy Shriver, allen voran Sohn Timothy, führen das Lebenswerk der Mutter weiter. Hochgeehrt stirbt sie 2009 im Alter von 88 Jahren. Die XVI. Special Olympics mit rund 7.000 Teilnehmern aus aller Welt finden 2023 in Berlin statt.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Martina Meißner
Redaktion: Ronald Feisel
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 10. Juli 2021 an Eunice Kennedy Shriver. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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