Hatte Jesus Christus Eigentum? Trug er ein Portemonnaie mit sich? Für die Gläubigen im Mittelalter sind das keine banalen Fragen. Sie führen zu hitzigen Diskussionen in der katholischen Kirche und münden in den so genannten Armutsstreit. Erbittert und teils gewaltsam bricht der Konflikt im Bettelorden der Franziskaner aus - und das noch zu Lebzeiten des Franz von Assisi. Doch der Ordensgründer kann ihn nicht schlichten. Nach seinem Tod 1226 zerbricht die Bruderschaft in zwei Fraktionen, die sich gnadenlos bekämpfen.
Franziskus' Credo ist die Armut, wie sie Jesus in der Bibel predigt: "Nichts führet bei euch, weder Stab noch Tasche, weder Brot noch Geld." Doch wie ernst ist es mit dieser Stelle aus dem Lukas-Evangelium gemeint? Die einen Franziskaner interpretieren sie wortwörtlich: Nur wer keinen weltlichen Besitz habe, sei wirklich arm und folge Jesus nach. Die anderen Glaubensbrüder verstehen die Worte symbolisch. Sie wollen arm im Geiste sein, aber nicht kompromisslos arm an Materie. Sie argumentieren mit Jesus’ Worten aus dem Matthäus-Evangelium: "Selig sind, die da geistlich arm sind."
Streit nimmt skurrile Ausmaße an
Verschiedene Bibelzitate und Interpretationen führen zu einer heftigen Auseinandersetzung. Zu Beginn streitet man sich noch um sachbezogene Fragen, zum Beispiel ob Arbeiten oder Betteln der wahre Ausdruck von Armut sei oder ob der Orden Schenkungen annehmen dürfe. Doch der Streit nimmt skurrile Ausmaße an: So stellen die Anhänger von Franz’ strikter Lehre die Kleiderordnung in Frage. Statt der wallenden Mönchskutten tragen sie immer kürzere Röcke und kleine Kapuzen. Daran sei wahre Armut zu erkennen, sagen sie.
1322 wird aus der Posse eines Ordensstreits ein gesamtkirchlicher Skandal: Beide Fraktionen verständigen sich auf ihrem Generalkapitel auf eine gemeinsame Erklärung, die sie gleich zu einem katholischen Dogma erheben: "Jesus Christus und die Apostel besaßen weder Geld noch Gut."
Damit fordern die Franziskaner Papst Johannes XXII. heraus. Dieser will sich nicht gefallen lassen, dass Mönche nun Dogmen proklamieren. Das ist allein seine Aufgabe als Kirchenoberhaupt. Am 8. Dezember 1322 erlässt er daher die Bulle "Ad conditorem canonum".
Papst Johannes XXII. revidiert "faulen Kompromiss"
Er revidiert damit die für ihn heuchlerische Entscheidung seines Vorgängers Nikolaus III. und gibt dem Orden seinen Besitz zurück - ob dieser möchte oder nicht. Nikolaus III. hat die Franziskaner nämlich enteignet, um ihnen im zweiten Schritt die kompletten Nutzungsrechte zu überlassen. So war der Orden juristisch bettelarm, praktisch aber so reich wie zuvor. Dieser Kniff sollte alle Ordensbrüder zufrieden stellen - für Johannes XXII. ist es jedoch ein fauler Kompromiss.
Er beauftragt sogar eine theologische Expertenkommission, dem umstrittenen Portemonnaie des Messias’ streng wissenschaftlich nachzuforschen. Das Ergebnis: Jesus und seine Jünger sollen auf jeden Fall Geld gehabt haben. Damit beendet der Papst per Verordnung kurzerhand den Armutsstreit und erklärt die Sache für erledigt. Doch den Riss, der durch den Orden geht, kann er so nicht kitten. Im 16. Jahrhundert spalten sich die Franziskaner endgültig.
Autor des Hörfunkbeitrags: Hans Conrad Zander
Redaktion: David Rother
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