George Smith kommt gegen Mittag des 10. September 1897 mit seinem Taxi von der Bond Street in London ab und landet im Vordereingang des Hauses 165. Zu seinem doppelten Unglück beobachtet ein Polizist das Geschehen. Er riecht am Atem des jungen Taxifahrers und konstatiert eine deutliche Fahne.
Noch am gleichen Tag wird Smith zu 20 Schilling Geldstrafe verurteilt, das entspricht heute etwa 100 Euro. Es ist die erste registrierte Strafe für Trunkenheit am Steuer.
Weitere Konsequenzen zieht man aus dem Vorfall nicht - schließlich gibt es noch kaum Autos. Doch Menschen wie Smith sorgen später für heiße Debatten um die Frage: Wie viel Promille verträgt der Straßenverkehr?
Politik zögert lange
Erst in der Nachkriegszeit setzt die Politik das Thema auf die Tagesordnung. Autos prägen mittlerweile das Straßenbild und die Zahl der Verkehrsunfälle ist bedrohlich gestiegen: 1960 kommen bereits mehr als 41.000 Menschen ums Leben oder werden verletzt, weil Autofahrer zu tief ins Glas schauen. Zu der Zeit gilt man ab 1,5 Promille als fahruntüchtig. Diese Marke hat allerdings das Bundesverfassungsgericht festgelegt - gesetzliche Grenzwerte existieren noch nicht.
Das soll Mitte der 60er-Jahre nachgeholt werden. Nachdem Wissenschaftler herausfanden, dass man beim Bedienen eines Fahrzeugs bereits mit 0,75 Promille versagt, fordert Justizminister Wolfgang Stammberger im Bundestag eine gesetzliche Promillegrenze von 0,8. Doch eine Entscheidung im Parlament gibt es nicht. Alkohol hat in Deutschland eine starke Lobby, die Trinklust - auch unter Politikern - ist groß.
Die Debatten ziehen sich über Jahre. So müssen nach Stammbergers Vorstoß erst weitere zehntausende Menschen im Straßenverkehr sterben, bis sich der Bundestag 1973 endlich zur 0,8-Promillegrenze durchringt.
Promillegrenze fällt weiter
Das zeigt Wirkung, wenn auch langsam. 1985 gibt der Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS) bekannt, dass die Zahl der Alkoholunfälle erstmals seit vielen Jahren deutlich gesunken ist. Dazu tragen strengere Strafen, mehr Aufklärung auch in den Fahrschulen und groß angelegte Alkoholkontrollen der Polizei bei.
Doch Wissenschaftler warnen weiter: Auch mit 0,8 Promille würden Autofahrer noch immer eine Gefahr darstellen. Nach erneut heftigen Diskussionen senkt der Gesetzgeber deswegen 2001 die Grenze auf 0,5 Promille. Und er legt nochmal nach: Seit 2007 dürfen Fahranfänger gar nichts mehr trinken.
Dass es irgendwann die 0-Promillegrenze für alle gibt, darf bezweifelt werden. Der Durst nach Alkohol hierzulande ist groß und gesellschaftlich akzeptiert. Außerdem hatte man die Chance auf alkoholfreie Fahrten: Die 0-Promille-Regel der DDR hätte nur übernommen werden müssen. Aber auch hier ging die Wende andersherum.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Irene Geuer
Redaktion: Gesa Rünker
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