19. April 1943: Albert Hofmann macht sich auf den Heimweg. Der Chemiker arbeitet in einem Labor der Schweizer Pharmafirma Sandoz in Basel. Er hat vor einigen Tagen mit dem Stoff Lysergsäurediethylamid (LSD) experimentiert, der bei ihm merkwürdige Symptome wie Unruhe und Schwindel hervorgerufen hat: "Vielleicht war eine Spur der Substanz durch die Haut resorbiert worden."
Jetzt will Hofmann in einem Selbstversuch mehr über die Wirkung erfahren. Er bittet seine Laborantin, ihn nach Hause zu begleiten. Beide sind mit dem Fahrrad unterwegs. Bereits während der Fahrt setzt der Effekt der Droge ein: "Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel." Er hat das Gefühl, mit dem Rad nicht vom Fleck zu kommen. Tatsächlich ist er aber mit seiner Assistentin sehr schnell unterwegs.
Veränderte Wahrnehmung und Angst
Zu Hause plagen Hofmann Ohnmachtsgefühle. Für den ersten LSD-Trip der Geschichte hat Hofmann eine viel zu hohe Dosis gewählt. Die Wirkung verstärkt sich weiter. "Alles im Raum drehte sich, und die vertrauten Gegenstände und Möbelstücke nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an."
Seine Nachbarin erscheint ihm als "bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze". Hofmann hat auch das Gefühl, dass sich sein Inneres verändert.
Giftiges Mutterkorn
Ausgangspunkt für diese Erfahrungen ist Hofmanns Erforschung des Mutterkorn-Pilzes. Dieser giftige Pilz wächst als zapfenförmiges Gebilde auf Gräsern und Getreide. Da Mutterkorn leicht mit Getreidekörnern verwechselbar ist, kam es im Mittelalter zu Massenvergiftungen. Tausende Menschen starben, weil sie Brot gegessen hatten, das gemahlenes Mutterkorn enthielt.
Weil der Pilz aber auch wehentreibend und blutstillend wirkt, wurden er in geringen Mengen früher von Hebammen bei Geburten genutzt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde bei Sandoz ein Migränemedikament aus Mutterkorn-Bestandteilen entwickelt. Später wurde deren Einsatz in einem Kreislaufmittel erforscht. Auf Basis der natürlichen chemischen Wirkung des Mutterkorns stellte Hofmann in den 1930er-Jahren synthetische Stoffe her, unter anderem LSD.
Als Medikament im Einsatz
Da die Substanz im Tierversuch nicht die gewünschte Wirkung zeigte, wurden zunächst keine weiteren Experimente gemacht. Erst im Frühjahr 1943 produziert Hofmann den Stoff erneut. Nach dem ersten LSD-Trip der Geschichte - der als "Bicycle Day" bekannt wird - erzählt der Chemiker seinen Chefs von seinen Erlebnissen. Sie probieren das Mittel ebenfalls aus und sind Hofmanns Meinung: "Man hat ein neues Instrument in der psychiatrischen Forschung."
Sandoz vertreibt bald darauf LSD unter dem Namen "Delysid". Anwendungsgebiete des Medikaments sind laut Beipackzettel "Angst- und Zwangsneurosen" sowie "experimentelle Untersuchungen über das Wesen von Psychosen".
Hippies, Schauspieler, Militärs
LSD gilt in den USA schon bald als Wundermittel. Es wird in dort in der Psychotherapie eingesetzt, von gestressten Hollywood-Stars wie Cary Grant konsumiert und in einem militärischen Forschungsprogramm zur Gedankenkontrolle erprobt. Die größte Resonanz hat LSD jedoch in der Hippie-Bewegung. Die Droge prägt Kunst und Musik der 1960er-Jahre.
Der Psychologe Timothy Leary wird von der Harvard-Universität entlassen, weil er mit Studierenden ausgedehnte LSD-Gruppenexperimente macht. Hofmann lehnt Learys Forderung nach freiem Zugang zu psychedelischen Drogen ab. 1966 verbietet die USA die Herstellung, den Besitz und den Konsum von LSD in den USA. In der Bundesrepublik ist die Substanz seit 1971 illegal.
"Sorgenkind" mit Potenzial
Auch in der Medizin kommt LSD - im Unterschied zu anderen Halluzinogenen - heute nicht mehr zum Einsatz. Bei der Behandlung psychischer Krankheiten wurde kein Durchbruch erreicht, was auch mit der Kontrollierbarkeit der Substanz zusammenhängt. Allerdings gibt es derzeit eine weltweite Renaissance der Erforschung von Halluzinogenen in der Psychiatrie.
Albert Hofmann bleibt vom Potenzial des Stoffs zeitlebens überzeugt - nach vielen weiteren Selbstversuchen. Er betrachtet LSD allerdings auch als sein "Sorgenkind", weil dessen Potenzial aus seiner Sicht von den einen missbraucht und von den anderen nicht ausgeschöpft worden ist. Der Schweizer Chemiker stirbt am 29. April 2008 mit 102 Jahren in Burg im Leimental.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Daniela Wakonigg
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 19. April 2023 an Albert Hofmanns LSD-Selbstversuch. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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