Merz Migrationsstrategie: In Absprache oder auf Biegen und Brechen
Aktuelle Stunde . 10.03.2025. 30:46 Min.. UT. Verfügbar bis 10.03.2027. WDR. Von Timucin Tim Köksalan.
Was Union und SPD wollen - und wie es jetzt weitergeht
Stand: 11.03.2025, 11:53 Uhr
Union und SPD wollen über die Bildung einer neuen schwarz-roten Koalition verhandeln. Noch diese Woche soll es losgehen. Was die Parteien planen und wie es jetzt weitergeht.
Die Verhandlungen über eine Regierungsbildung von Union und SPD sollen am Donnerstag starten. Insgesamt 16 Arbeitsgruppen sollen sich damit beschäftigen, wie CDU, CSU und SPD zusammenkommen können. Wenn die Koalitionsgespräche erfolgreich sind, könnte CDU-Chef Friedrich Merz vom Bundestag zum neuen Kanzler gewählt werden.
Vor gut einer Woche hatte es die ersten Gespräche zwischen Union und SPD gegeben. Ziel war es, bei den wichtigsten Themen zu einer Grundsatzeinigung zu kommen, bevor es in die Detailverhandlungen geht. Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche wurden in einem elf Seiten umfassenden Papier festgehalten.
Worauf haben sich Union und SPD in den Sondierungsgesprächen geeinigt?
Migration
Deutschland soll ein einwanderungsfreundliches Land bleiben, heißt es. Ziel von Union und SPD ist, eine qualifizierte Einwanderung in den Arbeitsmarkt attraktiv zu machen.

Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken
Irreguläre Migration soll allerdings zurückgedrängt werden. In den Sondierungsgesprächen haben sich Union und SPD darauf verständigt, dass an den Landgrenzen künftig auch Menschen zurückgewiesen werden sollen, die ein Asylgesuch stellen - allerdings nur in Abstimmung mit den Nachbarstaaten und nach rechtsstaatlichen Prinzipien.
Der Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter soll befristet ausgesetzt werden. Außerdem sollen mehr abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.
Arbeit und Rente
Das Bürgergeld soll durch eine neue Grundsicherung ersetzt werden. Für Verweigerer soll es schärfere Sanktionen geben - bis zum Entzug der Leistungen für diejenigen, die arbeiten können, aber "wiederholt zumutbare Arbeit verweigern". Beim Mindestlohn soll bis 2026 eine Höhe von 15 Euro erreicht werden. Das Rentenniveau soll gesichert werden. Wer freiwillig länger arbeiten möchte, soll steuerlich entlastet werden.
Wirtschaft und Verbraucher
Beide Seiten haben sich auch auf eine Erhöhung der Pendlerpauschale, eine Einkommenssteuerreform für die Mittelschicht und auf die Rückkehr zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent in der Gastronomie geeinigt. Um die Konjunktur zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, wollen Union und SPD unter anderem die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken.
Welche Punkte sind noch offen?
Laut Sondierungspapier wollen Union und SPD im Rahmen der Haushaltsberatungen auch Einsparungen vornehmen. Welche Bereiche das betreffen könnte, dürfte noch für Diskussionen sorgen.
Die CDU hatte im Wahlkampf versprochen, das umstrittene Heizungsgesetz rückgängig zu machen. Bei der Rente haben beide Seiten zwar die Sicherung des Niveaus vereinbart, aber nicht auf welcher Höhe. Das gerade erst reformierte Wahlrecht soll überprüft werden. Wie es geändert werden könnte, wäre noch zu klären.
In der Außen- und Sicherheitspolitik gelten folgende Fragen als offen: Werden kurzfristig Waffenlieferungen für drei Milliarden Euro in die Ukraine genehmigt? Bleibt das Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern? Was ist mit der Wehrpflicht? Und wie steht Deutschland zu einem europäischen nuklearen Schutzschirm und einer europäischen Friedenstruppe für die Ukraine?
Wie ist die Stimmung zwischen Union und SPD?

Kritisierte Boris Pistorius die Union?
Innerhalb von Schwarz-Rot schien es bisher einigermaßen harmonisch voranzugehen. Doch nun hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einem Medienbericht zufolge die Verhandler der Union scharf kritisiert. Es geht dabei um die Auslegung der Sondierungsvereinbarung zur Migration.
"Ich sag's Euch wie es ist: Diese Gesprächspartner waren die mit Abstand unangenehmsten. Humanität und Verantwortung für andere Menschen? Null Komma null", sagte Pistorius nach Informationen des "Stern" in der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion.
Der Minister nannte dabei dem "Stern" zufolge namentlich zwei der Top-Verhandler der Union, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und den Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei. "Dobrindt und Frei, sie sind wirklich unangenehm. Sie haben kein Gewissen", soll Pistorius gesagt haben.
Was ist mit dem schwarz-roten Finanzpaket?
Union und SPD haben bereits ein umfangreiches Finanzpaket vereinbart: Die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und für die Länder soll gelockert werden. Außerdem soll ein 500 Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur aufgesetzt werden.
Das Problem: Dafür ist eine Grundgesetzänderung nötig. Das geht nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Da sind Union und SPD auf die Grünen angewiesen. Doch bisher wollen die Grünen dem Finanzpaket nicht zustimmen.

Grünen-Co-Chef Felix Banaszak
Bereits am Sonntag hatte der Grünen-Co-Chef Felix Banaszak in der "Aktuellen Stunde" des WDR kritisiert, dass Union und SPD ihre Pläne nicht mit den Grünen abgestimmt hätten - obwohl deren Zustimmung für das Finanzpaket nötig sei. "Wenn ich weiß, dass die Bildung meiner Koalition darauf fußt und davon abhängig ist, dass ein Dritter seine Zustimmung gibt, also die Grünen, dann redet man nicht erst mit denen, wenn die Ergebnisse schon vorliegen."
Das Sondierungsergebnis zeige ein wildes Potpourri: Die Union bekäme die Migrationspolitik, die SPD mache das mit. Genau so der Frontalangriff aufs Bürgergeld. "Wer so plant, der sollte auch mit denen reden, die das ermöglichen sollen. Wer die Grünen gerne an Bord hätte, legt ihnen nicht einfach etwas vor, sondern spricht regelmäßig und vorab mit ihnen", sagte Banaszak.
Aus drei Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung kamen am Sonntag zudem massive Änderungsforderungen. "Ohne wesentliche Änderungen halten wir die vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen bezüglich der Finanzpolitik von Bund und Ländern für nicht zustimmungsfähig", heißt es in einem Papier von NRW-Vizeministerpräsidentin Mona Neubauer, dem baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz und dem Bremer Finanzsenator Björn Fecker.
Kommt die Mehrheit für eine Grundgesetzänderung zustande?
Die Grundgesetzänderung soll eigentlich am Donnerstag in den alten Bundestag eingebracht werden. Doch die Zustimmung der Grünen steht nach wie vor aus. Die Grünen-Fraktion hat sogar einen eigenen Gesetzesentwurf verabschiedet. Ein Kompromiss scheint noch möglich. Ob es dazu allerdings kommt, ist offen.
Ohne das geplante Finanzpaket würde Union und SPD die finanzielle Grundlage ihres Sondierungsergebnisses und damit auch für die ab Donnerstag anvisierten Koalitionsverhandlungen fehlen.
Wie steht der neue Bundestag zu einer Grundgesetzänderung?
Sollte es im alten Bundestag keine Einigung zum schwarz-roten Finanzpaket geben, müsste das neu gewählte Parlament darüber entscheiden. Da eine Zusammenarbeit mit der AfD bereits ausgeschlossen wurde, wären Union und SPD dann auch auf die Linke angewiesen, um auf die nötige Zahl von Stimmen zu kommen.
Die hatte aber bereits klargestellt, dass sie das bisherige Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro für ausreichend hält und einer Lockerung der Schuldenregeln für neue Militärausgaben nicht zustimmen will. Eine Zustimmung zum Sondervermögen für Infrastruktur knüpft die Linke an Bedingungen.
In den Ländern haben schon die mit SPD beziehungsweise CSU regierenden Parteien BSW und Freie Wähler Vorbehalte angemeldet.
Wie ist der weitere Zeitplan?
Die Gespräche über eine Koalition sollen am Donnerstag beginnen. CDU-Chef Merz stellte im Deutschlandfunk mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen aber bereits klar:
Scheitern ist keine wirkliche Option. CDU-Chef Friedrich Merz
Union und SPD sind laut Merz geradezu zur Regierungsbildung verpflichtet. Es gebe nur diese parlamentarische Mehrheit in der demokratischen Mitte.

CDU-Chef Friedrich Merz
Im Bundestag mit der alten Zusammensetzung sind für den 13. und 18. März Sitzungen angesetzt worden, um über die Schuldenpläne von Schwarz-Rot zu beraten und abzustimmen. Am 25. März kommt dann der neu gewählte Bundestag zum ersten Mal zusammen.
Bis Ostern will Unions-Fraktionschef Friedrich Merz die Koalitionsverhandlungen ganz abgeschlossen haben. Die SPD will dann die Mitglieder in einer Abstimmung über die Ergebnisse entscheiden lassen. Erst danach kann die neue Regierung vereidigt werden.
Quellen:
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP
- Interview von Friedrich Merz im Deutschlandfunk
- tagesschau.de