Teilzeit-Krankschreibung: Für wen sie Vorteile haben könnte
Stand: 31.10.2024, 14:55 Uhr
Wer nur ein bisschen krank ist, könnte ja ein bisschen arbeiten. Der Vorschlag einer solchen Teilzeit-Krankschreibung sorgt für Diskussionen. Welche Vor- und Nachteile das hätte - und welche Erfahrungen es aus anderen Ländern gibt.
Es gibt so Tage, da ist der Kopf schwer und die Nebenhöhlen sind dicht. Acht Stunden vorm Rechner würde man damit nicht schaffen, aber vier vielleicht schon. Diesem Gedanken folgt die Idee der Teilzeit-Krankschreibung, die Ärztepräsident Klaus Reinhardt vorgeschlagen hat. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was genau steckt hinter dem Vorschlag?
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte, er sei offen "für eine praktikable Form von Teilzeit-Krankschreibung für einige Stunden täglich". Das könnte den digitalen Arbeitsmöglichkeiten heute Rechnung tragen und für mehr Flexibilität sorgen, erklärte Reinhardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. So könnte etwa bei leichten Infekten der direkte Kontakt mit Kollegen im Büro vermieden werden. "In solchen Fällen bietet das Arbeiten im Homeoffice aber unter Umständen die Möglichkeit, im begrenzten Umfang berufliche Aufgaben wahrzunehmen und sich dennoch zu erholen."
Welche Vor- und Nachteile könnte so eine Regelung haben?
Ein Vorteil könnte insbesondere in Jobs bestehen, in denen sich die Arbeit aufstaut, wenn man länger nicht da ist: Hier könnten Arbeitnehmende zumindest das Wichtigste wegarbeiten, damit die To-Do-Liste nicht so lang ist, wenn man wieder ganz gesund ist.
Ein Nachteil könnte sein, dass Chefs unter Umständen versuchen Arbeitnehmende unter Druck zu setzen, ob sie nicht trotz Krankheit ein bisschen arbeiten könnten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund meint, die Idee sei "schlicht absurd". Vorstandsmitglied Anja Piel sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Wer krank und arbeitsunfähig ist, soll sich vollständig auskurieren. Ansonsten steigt das Risiko, länger und ernsthafter zu erkranken." Schon heute gingen viel zu viele krank zur Arbeit oder arbeiteten krank im Homeoffice. "Sie gefährden damit sich und andere und setzen auf Dauer ihre Gesundheit und Erwerbsfähigkeit aufs Spiel."
Gibt es Teilzeit-Krankschreibungen schon in anderen Ländern?
Ja, in Skandinavien. In Schweden zum Beispiel können Ärztinnen und Ärzte entscheiden, dass man nur zu 25, 50 oder 75 Prozent arbeitsfähig ist und dementsprechend weniger Stunden arbeiten kann.
Ist das in Deutschland auch denkbar?
Das Bundesgesundheitsministerium hat 2018 ein Gutachten dazu erstellen lassen, dass zum Schluss kam, dass es für Ärzte und Ärztinnen schwierig sei einzuschätzen, wie angeschlagen jemand ist und welche Auswirkungen das auf die Arbeitsfähigkeit in unterschiedlichen Jobs hat.
Für Schwangere oder für Menschen in der Wieder-Eingliederung nach längerer Krankheit gibt es aber schon ähnliche Modelle: Sie arbeiten häufig vorübergehend aus gesundheitlichen Gründen weniger Stunden als im Arbeitsvertrag stehen - nach dem Hamburger Modell.
Lassen sich die derzeit vielen Krankheitstage so in den Griff bekommen?
Teilzeit-Krankschreibungen könnten zumindest einen Beitrag dazu leisten, die Zahl der Krankheitstage zu senken. In Schweden nutzt etwa ein Drittel der Krankgeschriebenen die Teilzeit-Krankschreibung. Die Arbeitsunfähigkeit und die Höhe der Krankengeldzahlungen konnten so deutlich reduziert werden.
Ganz vergleichbar ist die Situation allerdings nicht: In Schweden bekommen kranke Angestellte nur zwei Wochen lang etwa 80 Prozent ihres Gehalts als Krankengeld, danach springt die staatliche Sozialversicherung ein. Es gibt also einen finanziellen Anreiz, weiterzuarbeiten. In Deutschland bekommen kranke Angestellte in der Regel sechs Wochen lang ihr volles Gehalt.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hätte die Teilzeit-Krankschreibung?
In Deutschland gibt es jährlich etwa 900.000.000 Arbeitsunfähigkeitstage. „Wenn wir es schaffen würden, nur zehn Prozent der Krankentage von einer vollen in eine Teilzeitkrankschreibung umzuwandeln, hätten wir 45 Millionen Arbeitstage gewonnen, die der deutschen Wirtschaft zugutekämen“, sagt Nicolas Ziebarth, Arbeitsmarktexperte am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Für die deutsche Wirtschaft wäre das ein Produktivitätsgewinn von rund fünf Milliarden Euro im Jahr.
Unsere Quellen:
- ARD-Studio Stockholm
- Bundesgesundheitsministerium
- Nachrichtenagentur dpa
- WDR-Interview mit dem ZEW-Arbeitsmarktexperten Nicolas Ziebarth