Die SPD im Landtag hat Kommunal- und Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen verklagt.
Der Vorwurf: Scharrenbach soll gegen die Landesverfassung verstoßen haben, indem sie dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021 Akten vorenthalten hat. Dies geht aus der Klageschrift hervor, die dem WDR und der "Rheinischen Post" exklusiv vorliegt.
Hat die CDU-geführte Landesregierung Fehler gemacht?
"Wir haben sehr viele Fragen zum Thema Soforthilfe, zum Thema Wiederaufbau - damit war die Ministerin zentral befasst", sagte René Schneider, der SPD-Obmann im Ausschuss, dem WDR. "Wir wissen aus den Aktenlieferungen anderer Ministerien, dass es da einiges an Material geben muss, das wir gerne auswerten möchten. Doch diese Akten enthält uns Scharrenbach vor", so Schneider.
Der Unterschungsausschuss des Landtags soll klären, ob die Landesregierung im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe Fehler gemacht hat. Kritiker hatten beispielsweise die Warnung der Bevölkerung als ungenügend bezeichnet, ebenso die Hilfe für Notleidende. Städte und Kreise fühlten sich in der Katastrophe teils vom Land allein gelassen.
SPD: "Hohn für Opfer der Katastrophe"
Die Landesregierung ist verpflichtet, dem Untersuchungsausschuss solche Akten zur Verfügung zu stellen, die zu den entscheidenden Fragen Auskunft geben können. Doch darüber, welche Akten das sind, streitet Scharrenbach vor allem mit den SPD-Abgeordneten im Ausschuss bereits monatelang. Seitdem der Ausschuss im vergangenen Juni neu eingesetzt wurde, hat Scharrenbach gerade einmal zehn Seiten Akten geliefert. Die Sozialdemokraten hatten das als "blanken Hohn für die Opfer der Katastrophe" bezeichnet. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum lieferte das Justizministerium mehr als 10.000 Seiten.
Durch den Starkregen am 14. und 15. Juli und die folgenden Überschwemmungen starben allein in Nordrhein-Westfalen 49 Menschen. Tausende Häuser sowie kritische Infrastruktur wurden zerstört, der Schaden geht in die Milliarden.
Scharrenbach war federführend zuständig
Scharrenbach war als Bau- und Kommunalministerin vom damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) bereits wenige Wochen nach der Katastrophe federführend mit dem Wiederaufbau betraut worden. Zuvor hatte ihr Haus den Erlass zur finanziellen Soforthilfe für die Opfer entwickelt und über die Verteilung der dafür vorgesehenen 65 Millionen Euro entschieden. Scharrenbach führte auch Gespräche mit dem Bundesverteidigungsministerium über Hilfseinstäze von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Dass Scharrenbachs Ministerium dennoch nur zehn Seiten an den Untersuchungsausschuss lieferte, begründet die Ministerin mit dem Wortlaut des Einsetzungsbeschlusses. "Sie konzentrieren sich im Untersuchungsgegenstand auf 'während der Hochwasserkatastrophe'" sagte Scharrenbach bei ihrer Zeugenbefragung im Ausschuss. Das Wort "während" legt Scharrenbach so aus, dass sie nur für den Zeitraum 14. bis 16. Juli 2021 Akten zu liefern habe - also lediglich für die drei Tage von akutem Starkregen und steigenden Pegeln.
Unterschiedliche Auslegungen des Untersuchungsauftrags
Die SPD sieht das ganz anders - und verweist ebenfalls auf den Einsetzungsbeschluss. Dort heißt es an anderer Stelle: "Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich auf die Zeit vom 09.07.2021 bis zum 09.09.2021." Scharrenbachs Interpretation, wonach sie nur für den Zeitraum von drei Tagen Akten zu liefern habe, bezeichnet die SPD als "höchst eigenwillig". Die Sozialdemokraten warnen vor einem Präzedenzfall: Es dürfe nicht sein, dass die Landesregierung durch Auslegung selbst entscheide, welche Akten sie einem Untersuchungsausschuss zur Verfügung stelle.
Weil dieser Streit seit Monaten nicht zu lösen ist, muss nun der Verfassungsgerichtshof in Münster entscheiden, ob die Aktenlieferungen von Scharrenbach unvollständig oder zulässig sind. Der langjährige innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Verfassungsrechtler Dieter Wiefelspütz vertritt die Sozialdemokraten in dem Organstreitverfahren. Mit einem Urteilsspruch wird nicht vor Herbst gerechnet.