Es gab Momente, die aus den vielen langen Stunden im Untersuchungsausschuss Silvesternacht herausragten. Ende Oktober war ein solcher Moment. Die CDU ließ Mitschnitte der Notrufe aus der Silvesternacht vorspielen. Die Hilferufe der verzweifelten Frauen gingen jedem Zuhörer nahe.
Polizisten, die den Abgeordneten Rätsel aufgaben
Es gab Befragungen, die in Erinnerung bleiben. Prominente Zeugen, wie Ministerpräsidentin Hannelore Kraft oder Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Polizisten, deren Aussagen ein lebhaftes Bild der Ereignisse zeichneten - oder den Abgeordneten Rätsel aufgaben. Der Ausschuss hat viele Zusammenhänge aufgedeckt und doch längst nicht alle Fragen beantworten können.
Jetzt, kurz vor dem Jahrestag der Silvesternacht, ist die Arbeit fast beendet. Eine letzte Befragung findet noch im Januar statt. Dann werden 176 Zeugen an 59 Sitzungstagen vernommen worden sein. Was dann noch aussteht, ist der Abschlussbericht, der ein Fazit ziehen soll unter die Arbeit des Ausschusses. Vermutlich wird der Bericht erst kurz vor der Landtagswahl fertig sein. Und damit wird er unweigerlich zum Wahlkampfthema. Wie schon der ganze Ausschuss.
Eine Arena für den Wahlkampf
Auch Innenminister Ralf Jäger sagte als Zeuge aus
Es war ein Hauptproblem des Ausschusses: Das zwölfköpfige Gremium war von Beginn an eine Arena für den Wahlkampf. SPD und Grüne einerseits taten alles, um Mitglieder der Landesregierung aus dem Kreuzfeuer zu nehmen. Umgekehrt haben CDU und FDP sehr viel Zeit und Mühe investiert, um Innenminister Ralf Jäger und Hannelore Kraft (beide SPD) Versäumnisse nachzuweisen.
Der Vorwurf: Jäger und Kraft hätten früher Bescheid gewusst als sie zugeben. Es sollte unter dem Deckel gehalten werden, dass es überwiegend Ausländer und Asylbewerber waren, die in der Nacht Jagd auf Frauen machten. Einen Beweis dafür hat die Opposition bislang nicht erbracht.
Ortstermin der Ausschuss-Mitglieder in Köln
Hannelore Kraft hat zwar eingeräumt, zu spät öffentlich reagiert zu haben. Aber sie bestreitet, dass man frühzeitig die Dimension der Vorgänge habe erkennen können. Vertuschungsversuche habe es nicht gegeben. CDU und FDP versuchen weiter, diese Aussage zu widerlegen. Vor dem Verfassungsgerichtshof läuft eine Klage, um die Herausgabe von Telefon- und Verbindungsdaten aus der Staatskanzlei zu erzwingen. Ende offen.
Der mysteriöse Anrufer bleibt unerkannt
Offen bleibt auch, wer der mysteriöse Anrufer war, der am 1. Januar bei der Kölner Polizei angerufen und verlangt haben soll, das Wort "Vergewaltigung" aus einer Meldung zu streichen - angeblich auf Wunsch des Innenministeriums. Telefondaten, die Aufschluss über den Anrufer geben könnten, sind routinemäßig gelöscht worden. Das Rätsel wird wohl nie gelüftet werden.
Ein völlig verfehlter Polizeieinsatz
Sehr viel eindeutiger fällt die Bewertung des Polizeieinsatzes in der Silvesternacht aus. Schon vor Beginn des Ausschusses war klar: Der Einsatz ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Bei etlichen Vernehmungen sind weitere Details herausgekommen. Beispiele:
- Die Polizei war zwar personell verstärkt worden. Aber angesichts der Vorfälle reichte die Zahl der Beamten nicht annähernd aus.
- Der Einsatzleiter hätte Verstärkung anfordern können. Aber der erfahrene Polizist entschied sich dagegen. Warum, bleibt unverständlich. Im Ausschuss behauptet der Hauptkommissar, lange nichts von den massenhaften Übergriffen mitbekommen zu haben.
- Diese Behauptung steht im Widerspruch zu den Aussagen vieler Opfer. Sie geben an, Polizisten vergeblich um Hilfe gebeten zu haben. Auch der Einsatzleiter der Bundespolizei hat eine vollkommen andere Wahrnehmung. Er spricht im Ausschuss von "Massenpanik".
- Die Kommunikation innerhalb der Polizei lässt sich in der Silvesternacht nur als chaotisch bezeichnen. Besonders augenfällig: Der Chef der Leitstelle, bei dem in der Nacht alle Fäden zusammenlaufen sollten, sagt aus: Er habe überhaupt nichts von den Vorfällen mitbekommen. Er sei schlicht nicht informiert worden.
- Die Räumung des Bahnhofvorplatzes kurz vor dem Jahreswechsel hat zwar geholfen, die gefährliche Böllerei einzudämmen. Allerdings fanden viele sexuelle Übergriffe in der zusammengedrängten Menschenmenge statt. In einem Gutachten des Kriminologen Rudolf Egg heißt es, die Räumung sei zu spät gekommen und habe dann zu einer "Verschärfung der Situation" geführt.
Das verheerende Fazit des Gutachters
Gutachter Egg hat im Auftrag des Ausschusses rund 1.000 Anzeigen aus der Silvesternacht bewertet. Sein verheerendes Fazit: Die Übergriffe waren vermeidbar. Die Polizei hätte dem Treiben frühzeitig und unmissverständlich Einhalt bieten müssen. So aber hätten die vielen hundert Männer am Bahnhof das Gefühl, Teil einer anonymen Masse zu sein, die nach Belieben und ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, Frauen begrapschen und bestehlen konnte.
Wolfgang Albers entschuldigt sich
Einer der wenigen, die für den katastrophalen Polizeieinsatz persönliche Konsequenzen erdulden mussten, ist Kölns entlassener Polizeipräsident Wolfgang Albers. Als Zeuge im Ausschuss entschuldigt er sich bei den Opfern, bezeichnet sich selbst aber als "Sündenbock".
Empörung über Henriette Reker
Empörung löst Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) aus, als sie als Zeugin allen Ernstes behauptet, die Stadt Köln habe keine Fehler gemacht. Dabei war die Planung der Silvesternacht alles andere als fehlerfrei. Und die Ordnungsamt-Mitarbeiter an der Hohenzollernbrücke übersahen eine Massenpanik, die zur Sperrung der Brücke und einer verschärften Lage im Bahnhof führte.
Viele dieser kleinen bis katastrophalen Fehler hat der Untersuchungsausschuss akribisch aufgedeckt. In manchen Bereichen haben sich die Politiker auch verzettelt. Wochenlang ging es um zweifelhafte Vergleiche mit der Loveparade oder dem Hogesa-Einsatz der Kölner Polizei. Vermutlich war der Untersuchungsauftrag zu weit gesteckt. Insgesamt aber bietet sich nach der Arbeit des Ausschusses ein sehr viel genaueres Bild davon, wie die Kölner Silvesternacht derart eskalieren konnte. Der Ausschuss hat geholfen zu verstehen, was lange unverständlich war.