Die Anspannung ist groß, während wir im Auto warten. Wird er wirklich wie geplant kommen? Wir sind verabredet mit einem Schleuser. Ein WDR-Mitarbeiter gibt sich als Syrer aus, der zwei Verwandte nach NRW holen möchte. Wir behaupten, sie befänden sich aktuell in Österreich. Typisch für Geflüchtete, die die Balkanroute genommen haben. Treffen wollen wir den Schleuser in einem Café im Ruhrgebiet. Und herausfinden: Wie einfach ist es auch in NRW eine Einschleusung zu kaufen?
Gefunden haben wir den Mann sehr unkompliziert über Social Media. Dort, wo es auch viele Geflüchtete mittlerweile tun. Denn es gibt längst nicht mehr nur große Schleusernetzwerke, sondern auch viele Einzeltäter. Und die teilen sich die Fluchtroute oft auf. „Schleuser bieten ihre Dienste auch nur für das letzte Teilstück - zum Beispiel ab Österreich nach der Balkanroute - an“, erklärt uns Dr. Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung.
Professionalisierung steigt
Tatsächlich erscheint der Schleuser am abgemachten Treffpunkt. Das Gespräch mit ihm führen wir auf Arabisch. Der Mann nennt uns den Preis: 5000 Euro für die Grenzüberführung an einen Ort der Wahl in Deutschland. Eine hohe Summe, die der Mann damit begründet, dass man extra mit zwei Autos fahre: Eines zum Erspähen der Polizei und das andere als Transportwagen für die Verwandten. Social Media, mehrere Autos - die Schleuser werden immer professioneller.
Das bestätigt uns auch das Bundeskriminalamt (BKA): "Unter Professionalisierung kann auch der zunehmende Einsatz digitaler Hilfsmittel (Messenger-Dienste, Karten, Apps usw.) verstanden werden. Dieser führt nicht selten auch zur Verringerung des Entdeckungsrisikos. Auf eine Professionalisierung deutet zudem hin, dass dem steigenden Bedarf offenkundig vielfach entsprochen werden kann."
Das öffentliche Bild von Schleusern, die Menschen in Transporter zusammengepfercht transportieren, ist also nur ein Teil der Schleuserkriminialtiät. Ein Großteil der Einschleusungen über die deutsche Grenze - ca. 37% - erfolgen über „normale“ PKW-Fahrten, wie der aktuelle Lagebericht Schleuserkriminalität des BKA zeigt. Und wie uns auch der Schleuser im Ruhrgebiet angeboten hat. Nur ca. 13% erfolgen über Transporter oder Vans.
Schleuser sind oft selbst geflüchtet
Aber wie werden Menschen in NRW zu Schleusern? Salim (Name geändert) sitzt im offenen Vollzug. Der Geflüchtete lebt seit 2015 in NRW und war Schleuser. Im Interview erzählt uns der 30-Jährige Mann:
„Ich war an einem Moment, wo ich große Geldprobleme hatte. Ich hatte meinen Job verloren, ich plante zu heiraten - das ist teuer - und eine Familie zu gründen. Ich hatte gerade eine Frau kennengelernt. Gleichzeitig muss ich meine Familie in Syrien versorgen.“
Ein Bekannter bietet ihm an, miteinzusteigen beim Schleusen. „Er meinte es ist ganz einfach. Ich habe 2.000 Euro gemacht. Ich brauchte wirklich Geld.“ Salim geht auf das Angebot ein. Im gut sitzendem Anzug und in hochwertigen Autos schleust er Menschen. Das sei deutlich unauffälliger. Mit dieser Masche verdient Salim schnell viel Geld.
"Es gibt eben auch viele Einzelpersonen, die das mal machen oder vielleicht sogar mehrmals machen“, so Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Oft führt der Weg ins Schleusen auch über die Netzwerke der bereits hier lebenden Geflüchteten: „Manchmal kennt man sich auch über Verwandtschaftsstrukturen oder über Strukturen, das man aus dem gleichen Herkunftsort im Krisengebiet kommen“.
Problem: Einzeltäter
Erst jüngst gelang Europol ein Schlag gegen größere kriminelle Schleuser-Strukturen mit Schwerpunkt in NRW. Einzeltäter wie Salim sind für die Behörden aber deutlich schwieriger zu fassen.
"Das sind selten Personen, die in Ermittlungen auftauchen, oft sehen wir kriminelle Netzwerke. Das sind dann die größeren Aufgriffe, die wir haben [...] Das Aufkommen von Einzelpersonen und deren Verfolgung ist der seltenste Fall.", so Huth. Geflüchtete gehörten in die kontrollierte Obhut eines Staates, nicht in die Abhängigkeit von privaten Schleusern, daher sei Einschleusung zurecht als Straftat eingestuft.
Ein aussichtloser Kampf?
Schleuser passen sich neuen Bedingungen schnell und flexibel an. Ein "roter Faden" sei nicht zu erkennen. Es werden immer Menschen auf illegalem Wege zu uns kommen, das könne auch Bundes- und Landespolizei nicht verhindern. Zur besseren Bekämpfung bräuchte es außerdem mehr Personal. Man müsse die Ursache für "illegale Migration dort auffangen, wo sie entsteht", so Huth weiter.
Viele Forderungen nach härteren Einzel-Maßnahmen, die Migartion eindämmen sollen, haben laut Migrationsforscher Engler, kaum eine wissenschaftliche Grundlage. So führen zum Beispiel härtere Grenzkontrollen eher zu einem verschärften "Katz-und-Maus-Spiel" zwischen Behörden und Schleusern. Der "Versuch Migration physisch aufzuhalten hat sich in den letzten Jahrzehnten als nicht effektiv erwiesen".
Engler ist sich sicher: So lange Geflüchtete eher illegale Wege als Chance sehen, um nach Deutschland zu kommen, wird es Schleuserstrukturen geben. Und ihre Methoden werden sich immer wieder an rechtliche Neuregelungen und härtere Grenzkontrollen anpassen.