HNO:Familie Schüler sorgt sich um Jette

Lange Wartezeiten für kleine HNO-Patienten

Stand: 14.03.2025, 13:26 Uhr

Die zweijährige Jette hat Paukenergüsse im Ohr, ist deshalb oft krank und hört schlechter. Eine kleine OP könnte helfen. Doch auf diese müssen Kinder lange warten, zum Teil bis nächstes Jahr. Hintergrund sind niedrige Honorarsätze für Ärzte – und die neue Krankenhausplanung der NRW-Landesregierung.

Von Felix MannheimFelix Mannheim

Vor sechs Monaten bemerkten Julia und Rainer Schüler in Kamp-Lintfort erstmals, dass etwas bei ihrer Tochter Jette nicht stimmt. Sie hörte nicht mehr so gut. "Sie reagiert manchmal gar nicht, wenn man sie anspricht“, sagt ihre Mutter heute, "oft müssen wir Sachen mehrfach sagen“. Und Jette sagt "Dante“ statt "Danke“, kann "S“ und "Sch“ nicht unterscheiden. Normal bei Kindern, als Entwicklungsschritt. Nur: Um es anders zu lernen, müssen sie es richtig hören.

HNO: Familie Schüler sorgt sich um Jette

Familie Schüler sorgt sich um Jette

"Hörbehindert“ sei Jette gerade, sagt ihre Hals-Nasen-Ohrenärztin Anne Schriefers. Sie stellt fest: Alle Therapieversuche, Antibiotika und Nasenspray-Kuren sind gescheitert. Nur eine kleine Operation könne helfen, das Einsetzen von Paukenröhrchen ins Trommelfell, um die Ohren zu belüften. Das dauert im OP nur wenige Minuten – aber es gebe gerade kaum Plätze für den Eingriff. Die Kliniken, die ihn noch anbieten, seien überlaufen. Wartezeit: Wenn es blöd läuft, bis nächstes Jahr.

"Sie werden gerade einfach nur abgewimmelt, das ist eine ganz schwierige Situation“, so die Ärztin. In der Zwischenzeit werde Jettes Entwicklung leiden: die Sprachentwicklung aber auch die allgemeine Intelligenzentwicklung, einfach weil sie weniger mitbekomme.

Warum müssen Kinder viele Monate auf einfache Eingriffe warten? Was läuft da falsch?

Ärzte beklagen zu schlechte Vergütung

HNO-Ärztin Verena Aust

HNO-Ärztin Verena Aust

Noch voriges Jahr hätte Dr. Schriefers Jette zu ihrer Kollegin Verena Aust geschickt. Die hat 2024 etwa 800 Kinder in Duisburg operiert – in den OP-Räumen des Krankenhauses Bethesda. "Ich habe versucht, da noch so viele zu retten, wie es ging“, sagt Aust. Denn sie habe gewusst: Zu operieren werde jetzt schwerer, die Wartezeit länger. Das habe zwei Gründe: Die OPs würden zu schlecht vergütet. Und durch die NRW-Krankenhausplanung hätten die Ärzte weniger Operationsräume. Jette und andere Kinder seien Leidtragende eines verhärteten Konflikts zwischen Krankenkassen, Ärzten – und Politik.

Paukenröhrchen

Paukenröhrchen

Seit Jahren klagen die HNO-Ärzte und ihre Verbände, dass die kleinen Eingriffe bei Kindern zu gering vergütet würden. Der Satz für den Standardeingriff Paukenröhrchen, Polypen-Entfernung, Mandelverkleinerung lag 2021 noch bei 600 Euro, jetzt liegt er nur noch bei 188 Euro. Voriges Jahr haben manche Ärzte die OPs deshalb vorübergehend verweigert. Sie argumentieren: Zieht man von dem Satz die Kosten für den OP – Sterilisierung, Reinigung, Schwester – ab, bleibe für den Operateur nur noch ein Satz nahe Mindestlohn.

Der Spitzenverband der Krankenkassen will von diesem Missstand jedoch nichts wissen. Er schreibt auf Westpol-Anfrage: Die Honorare seien mit den Ärztevertretungen gemeinsam festgelegt worden. Und: "Es ist bedauerlich und für uns nicht nachvollziehbar, dass scheinbar einige HNO-Ärztinnen und -Ärzte versucht haben und (…) wohl immer noch versuchen, ihre Partikularinteressen auf dem Rücken von Kindern durchzusetzen.“

Krankenhausplanung verringert Zahl der OP-Räume

HNO-Ärztin Verena Aust muss tief durchatmen, als sie das hört. "Partikularinteressen.“ Sie sagt: Sie – und auch viele andere HNO-Ärzte – hätten trotz des niedrigen Honorars operiert. Aber jetzt käme zu den niedrigen Sätzen das zweite Problem: Die NRW-Krankenhausplanung.

Krankenhaus-OP

Weil es für die OPs so wenig Geld gebe, lohne es sich für Ärzte nicht, dafür eigene – sehr teure – Operationsräume einzurichten. Sie seien angewiesen auf Räume in Krankenhäusern, sogenannte Beleg-OP-Räume. Aust operierte lange im Bethesda in Duisburg. Jetzt geht das nicht mehr. Die Klinik schreibt auf Westpol-Anfrage: "Die Entscheidung, Beleg-OP-Räume für die HNO nicht länger anzubieten, steht im direkten Zusammenhang mit der Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen.“

Denn jetzt gibt das NRW-Gesundheitsministerium vor: Auch Belegabteilungen müssen mit drei Fachärzten und 24 Stunden Rufbereitschaft besetzt sein. Mehrere Krankenhäuser haben deshalb solche Abteilungen geschlossen. Das Ministerium verteidigt Westpol gegenüber die höheren Qualitätsvorgaben. Das Problem sei die zu niedrige Finanzierung – denn auch für Kliniken lohnten sich die Eingriffe dadurch weniger als andere.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung macht deutlich, dass sie den niedrigen Sätzen nur mit großen Bauchschmerzen zugestimmt habe. Sie schreibt: "Wenn Leistungen chronisch unterfinanziert sind, könnten sie irgendwann nicht mehr angeboten werden.“ Tatsächlich ist die Zahl der Operateure inzwischen deutlich zurückgegangen: Laut Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte haben im Bereich der KV Nordrhein lange etwa 130 HNO-Ärzte operiert. Jetzt seien es weniger als 60, "Tendenz stark fallend“.

SPD hinterfragt Krankenhausplanung

Thorsten Klute im Porträt

Thorsten Klute, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im NRW-Landtag

Die SPD  im Landtag nimmt die Westpol-Recherche nun zum Anlass, die NRW-Krankenhausplanung neu zu hinterfragen. Qualitätsvorgaben, die im Ergebnis zu weniger OPs und langen Wartezeiten führen, seien "ein Qualitätsverlust“, sagt ihr gesundheitspolitischer Sprecher Thorsten Klute. Zudem drohe es durch die Wartezeiten insgesamt teurer für Krankenkassen und damit die Allgemeinheit zu werden: Wenn die Sprachentwicklung von Kindern verzögert wird und beispielsweise Stunden beim Logopäden oder sogar Hörgeräte erforderlich werden – koste das letztlich wesentlich mehr als die OP.

Die zweijährige Jette in Kamp-Lintfort ist gerade Leidtragende eines Systems, das nicht richtig funktioniert. "Dabei sollten uns die Kinder doch als erstes so wichtig sein, dass die nicht aus Kostengründen rausgestrichen werden“, sagt ihre Mutter Julia Schüler. Ihr und ihrem Mann Rainer geht es darum, das Jette gesund ist, sprechen lernt, sich normal entwickeln kann - und nicht ein Jahr auf einen kleinen Eingriff, der ihr schnell helfen könnte, warten muss.

Über dieses Thema berichten wir am 16.03.25 auch in der Sendung Westpol im WDR Fernsehen um 19:30 Uhr.

Unsere Quellen:
- GKV-Spitzenverband
- Kassenärztliche Bundesvereinigung
- Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
- Deutscher Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V.
- Bundesministerium für Gesundheit
- Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen
- HNO-Ärztinnen und -Ärzte
- Krankenhäuser und die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen e. V.
- Krankenkassen
- Betroffene Familien

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