"Ein anderes Leben" von Caroline Peters
Stand: 31.10.2024, 07:00 Uhr
In ihrem literarischen Debüt "Ein anderes Leben" porträtiert Star-Schauspielerin Caroline Peters eine komplizierte Patchwork-Familie mit einer wunderbar exzentrischen Mutter. Ein so feinfühliger wie humorvoller Roman. Eine Rezension von Nicole Strecker.
Caroline Peters: Ein anderes Leben
Rowohlt Berlin, 2024.
240 Seiten, 23 Euro.
Eigentlich ist es der Vater, Bow, der gestorben ist und für dessen Beerdigung die Familie zusammen kommt. Doch die Ich-Erzählerin kann einfach nicht anders: Statt an Bow muss sie immerzu an ihre Mutter Hanna denken, deren Tod eigentlich schon Jahre her ist. Aber war es nicht schon immer so, dass es sowieso nur um Hanna ging?
"Die Ehe mit Bow war Mamas dritte und letzte. Sie hatte ihre drei besten Freunde geheiratet, wer sollte da noch kommen?"
Eine Mutter, drei Väter, drei Töchter – so die sehr spezielle Konstellation dieser Patchwork-Familie, die Star-Schauspielerin Caroline Peters in ihrem Debütroman beschreibt. Inspiriert von ihrer eigenen Geschichte, aber nicht identisch mit ihr sei diese zärtliche Hommage an eine exzentrische Mutterfigur, erklärte Peters in Interviews.
Ihre literarische Hanna ist promovierte Slawistin, Bibliothekarin an der Universität und Dichterin, die ein falsches Wort in Rage versetzen kann. Die bei Partys Wodka-Gläser an die Wand pfeffert, mit Studenten flirtet, am Sonntagmorgen im Bett Sekt aus einer Porzellantasse trinkt und es liebt, zu spät zu kommen, um so einen großen Auftritt hinlegen zu können. Alles andere als ein Muttertier also, eher eine Bohemienne. Doch dafür lässt ihr die Familie weder Zeit noch Raum. Denn so freigeistig das Familienarrangement ist, so konventionell sind letztlich doch die Rollen besetzt.
"Mütter dichten nicht. Mütter tragen riesige Immer-was-dabei-Taschen herum für Kinder, die sich einpinkeln und bekleckern. Sie tragen Berge von Obst und Dosen ins Haus, damit hart arbeitende, ernst zu nehmende Männer ernährt werden können. Sie suchen Studenten die richtigen Karten aus dem Karteikasten und helfen ihnen bei ihrem Studium. Denn schließlich können selbst Mütter nicht nur zu Hause rumsitzen. Das ist nicht modern. Und modern wollten meine Eltern unbedingt sein."
Hanna fehlt zur Selbstverwirklichung schon das, was die britische Autorin Virginia Woolf bereits ein halbes Jahrhundert früher als Grundvoraussetzung ausgemacht hat: Ein Zimmer für sich allein. So wird Hanna eines Tages aus dem Haus ohne Raum für sie ausbrechen und die Familie verlassen.
Caroline Peters hat für ihr Frauenporträt die Perspektive der jüngsten Tochter gewählt. Und die ist als Kind und Teenager naturgemäß hin und hergerissen zwischen Faszination für diese intellektuelle Diven-Mutter und Zorn auf sie, denn die kann nicht mal einen Kinderanorak schließen, ohne dem Mädchen dabei einen Kinnhaken zu verpassen. Wunderbar humorvoll und lebendig inszeniert Caroline Peters die Alltagsszenen in dieser Familie. Die Zickenkriege und Konkurrenzkämpfe zwischen den drei Schwestern, von denen jede die Alleinherrschaft über die Erinnerung für sich beansprucht.
"Gemeinsam die Anekdoten nachzuerzählen, ist eine heikle Angelegenheit. Erinnerungen bilden das Fundament unsere Biografien. Wenn bei einer von uns die Erinnerung abweicht, wird die Luft dünn zwischen uns."
Dabei geht es dieser Ich-Erzählerin vor allem darum, die nun toten Eltern endlich zu verstehen. Dafür weitet Caroline Peters das Anekdotische ins Historische und macht deutlich, was wiederum das Leben dieser Akademiker-Eltern also der Nachkriegsgeneration geprägt hat.
"Direkt hinter der Gegenwart lag eine Vergangenheit, die nichts als Abgrund war, bodenlose Brutalität. Von welchen Eltern sollten diese Kinder sich etwas abgucken? Die Eltern hatten eine verheerende Katastrophe mitgestaltet, hatten an Vorhaben geglaubt, die den Kindern vorkamen wie Hammerschläge auf die Köpfe von Neugeborenen. Sie hatten gestritten mit diesen Eltern, ihnen Vorhaltungen gemacht – und sich dennoch nie ganz von ihnen abgewandt."
So wie Caroline Peters als gefeierte Burgschauspielerin den großen Gestus schätzt, so wählt sie auch sprachlich schon mal einen drastischen Ton – vielleicht hätte da gelegentlich die Kammertheaterbühne auch gereicht. Doch dank ihrer feinen psychologischen Einsicht und Sensibilität fühlt man sich dieser Mutter und ihren Töchtern sofort verbunden – mit all ihren amüsanten Schrullen und Allüren. Vor allem aber zeigt Caroline Peters mit ihrem Roman, wie wichtig es ist, sich irgendwann dem schmollenden Kind in sich zu stellen und den Eltern ihre Fehler endlich zu verzeihen.