Millionen User weltweit verbreiten wie selbstverständlich fremden Content. Das Netz bietet zahlreiche Möglichkeiten, Medien und Inhalte ganz unkompliziert zu teilen oder sich zu eigen zu machen. Wem dabei ein Urheberrechtsverstoß nachgewiesen werden kann, dem droht eine Schadensersatzzahlung. 2010 gab es nach Angaben der Bundesregierung rund 575.000 Abmahnfälle mit einem Volumen von mehr als 412 Millionen Euro. Auch wenn die Abmahngebühren zukünftig per Gesetz gedeckelt werden, die Drohkulisse löst den Konflikt nicht.
Schreiben Sie uns Ihre Meinung!
Längst sind sich Medienunternehmen wie Verlage und Plattenfirmen, Autoren und Musiker, ebenso wie Nutzer einig: Das Urheberrecht wird den Bedürfnissen und Bedingungen einer digitalen Welt nicht mehr gerecht. Die einen bangen um ihre Verdienstmöglichkeiten und die anderen fürchten die totale Überwachung im Netz.
"Kunst als exzentrisches Hobby"
Dabei provoziert schon der Begriff "Content" viele Künstler: Wer blindlings Inhalte (ver)teile, missachte den Wert des kreativen Werkes und damit auch den Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts. Auch die Rechteverwerter – Verlage und Labels – möchten das nicht. Statt zu verdienen, beobachten sie seit Jahren, wie Nutzer selbst die Verbreitung ihrer Produkte an ihnen vorbei übernehmen. "Es wird so getan, als ob wir Kunst als exzentrisches Hobby machen würden", sagte "Element of Crime"-Bandleader und Buchautor Sven Regener Ende März (21.03.2012) im Interview mit dem Zündfunk (BR). "Das Rumgetrampel darauf, dass wir uncool seien, wenn wird darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt und sagt 'Euer Kram ist nichts wert, wir wollen das umsonst haben'", wütete der Musiker und erntete alsbald viel Häme im Netz.
Von der Politik entäuscht
Aber Regener bekam auch Zuspruch. Nur acht Tage (29.03.2012) später wandten sich 51 "Tatort"-Autoren in einem offenen Brief an Grüne, Piraten, Linke und die immer wieder gern bemühte "Netzgemeinde": Sie sehen ihr Grundrecht auf geistiges Eigentum angegriffen, Rechtsverstöße würden dagegen "zum Freiheitsakt hochgejazzt". Und weiter: "Wenn man Urheber und User besser stellen will, braucht es ja einen, der diesen Alle-haben-alle-wieder-lieb-Kompromiss, der den Kram bezahlt". Dass "Grüne, Piraten und Netzpolitiker aller Parteien" dafür die Verwertungsindustrie, statt der Serviceprovider wie Google, auserkoren haben – nach Ansicht der Autoren ist das ein kapitaler Fehler.
Noch am selben Tag reagierte der Chaos Computer Club (CCC), "ganz kess als Vertreter der von Euch angeprangerten 'Netzgemeinde'" und bedauert: "Das Tragische (im griechischen Sinne) ist doch, dass wir beide Opfer des Verwertungssystems sind." CCC-Mitglieder seien schließlich selbst "Programmierer, Hacker, Gestalter, Musiker, Autoren von Büchern und Artikeln" - und die geben sich kämpferisch: "Was Ihr braucht, ist eine den Namen verdienende, starke Gewerkschaft, kein Monster aus Verwertungsgesellschaften (hier: die Gema, Anm. d. Redaktion), die dann Youtube langjährig verklagen, weil sie kostenlos Werbung für Euch machen."
Politische Lösungen gesucht
Und die Politik? Die Piraten kritisieren das Urheberrecht in seiner jetzigen Form, vor allem gegen den darin propagierten Schutz des "geistigen Eigentums". Sie werden deshalb von vielen Kreativen beschuldigt, das Urheberrecht ganz abschaffen zu wollen. In einer Stellungnahme der Partei (23.04.2012) heißt es erklärend: "Die Piratenpartei (…) begrüßt eine autonome Vermarktung von Werken im Selbstverlag und eine direktere Beziehung zwischen Autor und Leser." Gleichzeitig will man wie die Linke das nichtkommerzielle Kopieren und die Privatkopie vereinfachen und die Dauer des Urheberschutzes (endet derzeit 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers) verkürzen. Grüne und Linke befürworten Bezahlmodelle wie die Kulturflatrate. Die lehnt die FDP ab, unterstützt aber, wie im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vorgesehen, das Leistungsschutzrecht für Verlage. CDU und SPD fordern Künstler und Verwerter auf, gemeinsam neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Weiterhin umstritten: ACTA
Auf europäischer Ebene wird demnächst über das umstrittene Handelsabkommen ACTA abgestimmt. ACTA, so fürchten die Gegner, zementiert nicht nur das gegenwärtige Urheberrecht, es könne eine ganz neue Netzpolitik einläuten. Deutschland hatte die Zustimmung zunächst ausgesetzt, am Dienstag (24.04.2012) äußerte sich nun die Europäische Datenschutzbehörde (EDBS) – mir schweren Bedenken. "Viele der Maßnahmen zur Verstärkung der Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten könnten eine breit angelegte Überwachung des Verhaltens und der Kommunikation von Nutzern beinhalten", warnte die EDSB. Angesichts von Massenprotesten bat die EU-Kommission den Europäischen Gerichtshof um Prüfung, derzeit wird ACTA auch im Europaparlament diskutiert.
Markus Beckedahl - Chefredakteur des Blogs Netzpolitik.org, Gründer des Vereins "Digitale Gesellschaft" und Sprecher der deutschen Creative Commons Organisation - dürfte diese Entwicklung begrüßen. Er und seine Mitstreiter rüsten längst zur nächsten Phase des Anti-ACTA-Protests. Er wünsche sich endlich konkretes Nachdenken über eine Urheberrechtsreform, "ohne dass wir dabei breite Bevölkerungsschichten kriminalisieren und Grundrechte abbauen", sagte Beckedahl am (23.04.2012) im ARD-Morgenmagazin.