1999 wird Johannes Rau zum achten Bundespräsidenten Deutschlands gewählt. Nach Gustav Heinemann, der sein politischer Mentor war, ist Rau der zweite Sozialdemokrat an der Spitze der Bundesrepublik. Er gilt als Mann mit klassischem SPD-Lebenslauf und sozialdemokratischem Stallgeruch, entstammt jedoch einem ganz anderen Milieu: einem im Glauben verwurzelten, bürgerlichen Elternhaus in Wuppertal-Barmen. Er wird am 16. Januar 1931 als drittes von insgesamt fünf Kindern des Predigers Ewald Rau und dessen Ehefrau Helene geboren. In die SPD tritt Rau erst 1957 im Alter von 26 Jahren ein - nach der Auflösung der "Gesamtdeutschen Volkspartei" (GVP), deren Mitglied er seit 1952 war.
Doch dann kommt seine sozialdemokratische Karriere in Fahrt: Schon 1958 wird er für vier Jahre Vorsitzender der Jungsozialisten in Wuppertal. Im gleichen Jahr wird er auch zum ersten Mal in den NRW-Landtag gewählt. Von 1962 bis 1970 gehört er dem Vorstand der Landesfraktion an. Von 1967 an übernimmt er auch den Vorsitz der NRW-SPD-Fraktion. In seiner Heimatstadt Wuppertal ist Rau von 1964 bis 1978 auch Stadtverordneter und von 1969 bis 1978 Oberbürgermeister.
NRW-Wissenschaftsminister und SPD-Landeschef
Nach der Landtagswahl 1970 übernimmt Rau das neu geschaffene Ministerium für Wissenschaft und Forschung. Zwei Jahre später entlässt er den Kunstprofessor Joseph Beuys aus seinem Amt. Beuys hatte zusammen mit Studenten das Sekretariat der Kunstakademie Düsseldorf mit dem Ziel besetzt, jedem, der wollte, das Kunststudium zu ermöglichen. Ebenfalls 1972 initiiert Rau die Gründung der fünf NRW-Gesamthochschulen in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal. 1974 kommt die Fernuniversität der Bundesrepublik mit Sitz in Hagen dazu.
1977 wird Rau SPD-Landeschef und ein Jahr später NRW-Ministerpräsident. Beide Funktionen behält er rund 20 Jahre lang inne. In seine Zeit als Ministerpräsident fällt die Kohle- und Stahlkrise mit einer Arbeitslosenquote von über zehn Prozent. 1984 legt er das Konzept "Landesinitiative Zukunftstechnologien" und ein umfassendes Umweltschutzprogramm vor. Bei der Montan-Konferenz mit Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) erreicht Rau den Beschluss eines Hilfsprogramms für einen beschleunigten wirtschaftlichen Strukturwandel im Ruhrgebiet. Er vermittelt auch im Streit um die Schließung der Stahlhütte Rheinhausen.
Spannungsreiches Zweckbündnis mit den Grünen
Während Raus Amtszeit in NRW finden vier Landtagswahlen statt. Bei den ersten drei Wahlen 1980, 1985 und 1990 erreicht die SPD die absolute Mehrheit. 1995 reicht es nur noch zur einfachen Mehrheit. Rau geht nun doch eine Koalition mit den Grünen ein, die er einige Jahre zuvor noch entschieden abgelehnt hat. Das spannungsreiche Zweckbündnis streitet denn auch etwa über den Dortmunder Flughafenausbau oder die Zukunft des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II.
1998 kündigt Rau den Rückzug aus seinen NRW-Ämtern an: Am 23. Mai tritt er vom SPD-Landesvorsitz zurück. Sein Nachfolger wird Franz Müntefering. Am 27. Mai gibt er das Amt des Ministerpräsidenten auf. Ihn beerbt Wolfgang Clement. Noch im selben Jahr wird er als Kandidat der SPD für das Amt des Bundespräsidenten nominiert.
NRW-Flugaffäre belastet Amt des Bundespräsidenten
Zu Beginn seiner Amtszeit als Bundespräsident holen ihn die Schatten der Vergangenheit ein. Es geht um die Aufklärung der Flug-Affäre von NRW-Kabinettsmitgliedern. Zur Verteidigung seiner Flüge als NRW-Ministerpräsident mit von der WestLB gecharterten Flugzeugen und um sein Amt vor Schaden zu bewahren, entschließt sich Rau im Dezember 1999 zu einem Tagesthemen-Interview mit Ulrich Wickert. Ende Januar 2001 räumen Raus Anwälte eine Verknüpfung von Dienst- und Privatterminen "in wenigen Fällen" öffentlich ein.
Das Eingeständnis hat aber keine negative Folgen für Rau. Respekt verschafft er sich mit eindeutigen Äußerungen zu aktuellen Debatten. So mischt sich Rau Ende Oktober 2000 in die Auseinandersetzung um den - vom damaligen Unions-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz geprägten - Begriff der "deutschen Leitkultur" ein. Rau fordert, es müsse alles vermieden werden, was den Eindruck erwecke, die Deutschen wollten in Europa die Nummer 1 spielen. Beobachter sehen in ihm einen politischen Präsidenten, der im Lauf seiner Amtszeit den Mut zu riskanten Kontroversen entwickelt.