Bei der Einweihungsfeier für das Denkmal für die Contergan-Opfer sagte der Grünenthal-Geschäftsführer Harald Stock am Freitag (31.08.2012) in Stolberg bei Aachen, es sei bedauerlich, dass Grünenthal nicht viel früher auf die Opfer zugegangen sei. Das Unternehmen bedauere die Folgen von Contergan. "Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen, von Mensch zu Mensch, gefunden haben. Stattdessen haben wir geschwiegen."
Grünenthal hatte zwar schon mehrfach sein Bedauern über die "Tragödie" zum Ausdruck gebracht, sich aber noch nie explizit entschuldigt. Der frühere Grünenthal-Chef Sebastian Wirtz hatte im November 2007 gesagt: "Ich bin betroffen und habe einen Riesenrespekt vor diesen Menschen. Es tut mir furchtbar leid, was ihnen passiert ist." Eine Entschuldigung hatte er damals aber dezidiert zurückgewiesen, "denn in diesem Wort steckt das Wort Schuld."
Das Pharmaunternehmen aus Stolberg hatte das Schlafmittel Contergan 1957 auf den Markt gebracht. Das Mittel schädigte weltweit rund 10.000 Kinder im Mutterleib. Viele von ihnen starben kurz nach der Geburt, die anderen mussten mit schweren Missbildungen leben.
Denkmal für die Opfer
Das Denkmal für die Contergan-Opfer wurde am Freitag der Öffentlichkeit vorgestellt. Die rund 60 Zentimeter große Bronze-Skulptur zeigt ein kleines Mädchen mit fehlgebildeten Armen und Beinen, eine Box und einen leeren Stuhl. "Das Mahnmal soll die Toten und die Lebenden der Contergan-Tragödie symbolisieren", erklärt Johannes Igel. Der Verwaltungsangestellte aus dem Hunsrück hat wegen Contergan selbst fehlgebildete Beine. Auf seine Initiative geht das Denkmal zurück, das nun im Eingangsbereich des Kulturzentrums Frankental steht. Die Kosten in Höhe von 5.000 Euro wurden von Grünenthal übernommen.
Verband: "Zynische PR-Maßnahme"
Doch das Denkmal traf nicht nur auf Zustimmung. Am Rande der Einweihung gab es Protest von Contergan-Opfern. Der Bundesverband Contergangeschädigter - der nach eigenen Angaben den "überwiegenden Teil" der Opfer vertritt - blieb der Einweihungsfeier demonstrativ fern. "Wir sehen das als zynische PR-Maßnahme von Grünenthal", sagte Verbandssprecherin Ilonka Stebritz. Für Grünenthal gebe es wirklich Dringenderes zu tun, als ein Denkmal zu sponsern. Die Conterganopfer benötigten ganz konkrete Unterstützung, um ihren Alltag zu bewältigen, und diese Unterstützung werde von Grünenthal verweigert.
Der Initiator des Denkmals verteidigte seine Idee. "Ich wollte eine Brücke bauen zwischen dem Verursacher und den Geschädigten", erklärte Johannes Igel. Der Gedanke sei ihm bei einem Besuch des Holocaust-Denkmals in Berlin gekommen. Da habe er sich gesagt, dass es auch ein Denkmal für die vielen contergangeschädigten Kinder geben müsse, die kurz nach der Geburt gestorben seien.
Kritik von ausländischen Opferverbänden
Unterdessen kritisieren britische Opfer-Verbände, Grünenthal versuche weiterhin den Mythos aufrechtzuerhalten, niemand habe wissen können, welche Schäden das Medikament anrichten könne. Das sei aber nicht richtig, sagte Martin Johnson, Direktor der Stiftung "Thalidomide", am Samstag (01.09.2012). Contergan war in Großbritannien unter dem Namen Thalidomide verkauft worden. Auch der japanische Opferverband "Sakigake" war von der Entschuldigung enttäuscht: "Die Zahl der Opfer wäre geringer gewesen, wenn der Konzern den Verkauf früher gestoppt hätte." Björn Hakansson, Chef des schwedischen Opferverbandes, sagte: "Nach 50 Jahren kriechen sie zu Kreuze, nachdem sie in mehreren Ländern verklagt wurden. Das hätten sie nie getan, wenn sie nicht unter Druck stünden."
Opfer-Anwälte: "Beleidigender Unsinn"
Bei den Contergan-Geschädigten in Australien kam die Grünenthal-Entschuldigung ebenfalls nicht gut an. "Sie ist zu wenig, zu spät und durchsetzt mit weiterer Falschheit", erklärten Anwälte von Opfern. Das lange Schweigen mit einer "stummen Erschütterung" des Unternehmens zu begründen, sei "beleidigender Unsinn". Die Juristen warfen Grünenthal-Geschäftsführer Harald Stock Heuchelei vor. Die Anwaltsfirma Slater and Gordon Lawyers in Melbourne hatte in diesem Jahr mehrere Millionen Dollar für rund 130 Geschädigte erstritten - allerdings nicht von Grünenthal, sondern von dem Vertreiber des Medikaments in Australien. Grünenthal argumentierte, die Contergan-Geschädigten müssten in Deutschland prozessieren.
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