Die rund 60 Zentimeter große Bronze-Skulptur zeigt ein kleines Mädchen mit fehlgebildeten Armen und Beinen, eine Box und einen leeren Stuhl. "Das Mahnmal soll die Toten und die Lebenden der Contergan-Tragödie symbolisieren", erklärt Johannes Igel. Der Verwaltungsangestellte aus dem Hunsrück hat wegen Contergan selbst fehlgebildete Beine. Auf seine Initiative geht das Denkmal zurück, das im Eingangsbereich des Kulturzentrums Frankenheim stehen wird.
Johannes Igel war beeindruckt von dem 2007 ausgestrahlten ARD-Zweiteiler "Contergan", der den Skandal um das Schlafmittel vom Ende der 50er Jahre bis zum Prozess 1970 thematisiert. Auch er wollte etwas tun, damit die Erinnerung an die weltweit rund 10.000 Opfer wach bleibt. Die "Initialzündung" hatte der 50-Jährige, als er in Berlin das Holocaust-Denkmal gesehen hat: Da war klar, er will in Stolberg eine Gedenktafel aufstellen und sei es auf eigene Kosten. In Stolberg hatte Grünenthal, die Herstellerfirma von Contergan, früher ihren Hauptsitz.
Grünenthal übernimmt Kosten für Skulptur
Vor drei Jahren wandte sich Johannes Igel an die Stadt Stolberg und im Laufe der Gespräche entwickelte sich aus der Idee einer Gedenktafel ein kleines Denkmal. Den Auftrag dafür erhielt der Aachener Künstler Bonifatius Stirnberg. Die Stadt Stolberg als insolvente Kommune stellte vorher lediglich die Bedingung, dass ein Sponsor gefunden wird. Kurzerhand sprach Johannes Igel die Pharmafirma Grünenthal auf eine Beteiligung an. Diese bot an, die Kosten voll zu übernehmen. Für Johannes Igel ist dieser Schritt eine Art Brückenbau: "Es ist ein Weg, um den Stillstand in den Gesprächen der vergangenen Jahrzehnte zwischen den Geschädigten und Grünenthal aufzubrechen."
Geschädigte erwarten mehr finanzielle Hilfe
Der Bundesverband der Contergangeschädigten dagegen spricht von einem Schlag ins Gesicht aller Contergan-Betroffenen. "Das Geld für die Skulptur tut dem milliardenschweren Unternehmen sicherlich nicht weh", meint die Verbandssprecherin Ilonka Stebritz. Zuerst sollte alles 5.000 Euro kosten, am Ende wurden es 16.000 Euro. Die Firma signalisiere zynischerweise, "dass sie das Thema Contergan auf der Agenda hat, ohne sich aber weiter ernsthaft um die Anliegen der von ihr dauerhaft geschädigten Menschen zu bemühen". Grünenthal schloss 1970 einen außergerichtlichen Vergleich mit den Eltern der geschädigten Kinder. Damals flossen als Entschädigung 100 Millionen Mark in eine Stiftung. 2009 zahlte die Pharmafirma freiwillig weitere 50 Millionen Euro. "Die Contergan-Opfer sind jedoch mittlerweile über 50 Jahre alt und damit in einem Lebensabschnitt, wo wir mehr finanzielle Hilfe benötigen, weil der Körper aufgrund der Behinderung Folgeschäden entwickelt", sagt Ilonka Stebritz. Gespräche darüber hätten bisher zu nichts geführt.
Grünenthal wehrt sich gegen Vorwürfe
Bei der Firma Grünenthal, die ihren Hauptsitz inzwischen in Aachen hat, versteht man die Aufregung nicht. Ohne den Einsatz der Firma wäre die Aufstellung der Skulptur wahrscheinlich gescheitert, deshalb habe man sich zur Finanzierung bereit erklärt, meint Frank Schönrock, Sprecher bei Grünenthal. "Wir haben den Wunsch von Herrn Igel, mit dem Denkmal einen Beitrag zu leisten, dass Contergan niemals vergessen wird, stets respektiert und verstanden." Und den Vorwurf des Bundesverbandes der Contergangeschädigten, viele der Contergan-Opfer würden immer noch auf eine Entschuldigung des Pharmaunternehmens warten, will er so nicht stehen lassen. Das Bedauern darüber sei mehrfach in Gesprächen mit Betroffenen und auch öffentlich zum Ausdruck gebracht worden. Schönrock weiter: "Sollte sich auch künftig ein Anlass als passend herausstellen, werden wir selbstverständlich unser Bedauern in dieser oder anderer Form, auch im Beisein von Betroffenen, wieder äußern."
Bundesverband hat Teilnahme an Einweihung abgesagt
Der Bundesverband der Contergangeschädigten stört sich außerdem an der kindlichen Darstellung der Skulptur. Sie sei "unpassend", weil die noch rund 2.400 in Deutschland lebenden Opfer mittlerweile über 50 Jahre alt seien, so Ilonka Stebritz. Der Verband hat seine Konsequenzen gezogen und wird nicht an der Einweihung des Denkmals in Stolberg teilnehmen. Auch der Verein Contergan-Netzwerk stößt sich an der Finanzierung durch Grünenthal und hat für Freitag (31.08.2012) eine Demonstration angekündigt. Für Johannes Igel ist das alles jedoch kein Problem. Es gebe auch Geschädigte, die seinen Standpunkt nachvollziehen könnten. Überhaupt hat er nie damit gerechnet, dass aus seiner "kleinen" Idee irgendwann so eine große Debatte entsteht.