Der Vorschlag hat für viele Diskussionen gesorgt, zwei Fragen standen dabei im Vordergrund: Würde eine Steuererleichterung wirklich helfen, uns gesünder zu ernähren? Oder würden wir uns bei unserer Kaufentscheidung lediglich bevormundet fühlen?
Gesündere Konsumentscheidung?
Der Plan klingt simpel: Zum Beispiel Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte wären im Supermarkt plötzlich günstiger, weil wir darauf keine Mehrwertsteuer mehr zahlen müssten. Beim Einkauf greifen wir dann vielleicht eher zum gesunden Gemüse als den fettigen Chips.
Das könnte positive Auswirkungen auf unsere Ernährung haben. Vielleicht würden wir mehr wichtige Nährstoffe aufnehmen, bräuchten weniger Nahrungsergänzungsmittel und wären insgesamt gesünder. Vielleicht würden wir bei Übergewicht ein bisschen abnehmen und so ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugen.
Was ist gesunde Ernährung?
Ganz so simpel ist es dann doch nicht. Gesunde Ernährung ist sehr individuell. Der Nährstoffbedarf ist bei jedem Menschen, in jeder Lebenssituation verschieden. Manche müssten eigentlich ein bisschen ab-, andere zunehmen. Wieder andere haben einen höheren Bedarf an bestimmten Nährstoffen — der ändert sich zum Beispiel während einer Schwangerschaft.
Viele Lebensmittel sind in Maßen sehr gesund für uns – aber eben nur in Maßen. Nüsse beispielsweise enthalten wertvolle Mineralstoffe und Vitamine sowie für den Körper wichtige ungesättigte Fettsäuren. Dadurch sind sie aber auch sehr kalorienreich. Welche Lebensmittel wirklich gesund sind und im Falle einer Mehrwertsteueränderung nicht besteuert werden sollten, ist also gar nicht so einfach.
Im Fokus gesunder Ernährung: Gewichtsverlust
Es gibt bereits einige Studien, die einen Zusammenhang zwischen einer Preisveränderung bei Lebensmitteln und der Ernährung untersuchen. Diese schauen sich allerdings häufig lediglich die Kalorienaufnahme als Indikator für eine gesunde Ernährung an. Die untersuchten Maßnahmen gelten dann als erfolgreich, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten ihre Kalorienaufnahme reduzieren und dadurch nicht weiter zu- oder sogar abnehmen.
Das liegt unter anderem daran, dass Übergewicht die Ursache für die meisten ernährungsbedingten Krankheiten ist. Durch diese entstehen wiederum hohe Kosten für das Gesundheitssystem. Modellrechnungen haben ergeben, dass das Aussetzen der Mehrwertsteuer bei Obst und Gemüse tatsächlich dazu führen könnte, dass die Kalorienaufnahme von Verbraucherinnen und Verbrauchern leicht zurückgeht.
Die unelastische Lebensmittelnachfrage
Im Allgemeinen reagiert unsere Nachfrage nach Lebensmitteln aber relativ wenig auf Preisänderungen. Bei Preissteigerungen kaufen wir Produkte zunächst weiter oder ersetzen sie durch Lebensmittel mit einer ähnlichen Zusammensetzung. Butter ist hier immer ein beliebtes Beispiel: Wird sie zu teuer, greifen wir zur Margarine. Werden Produkte günstiger, kaufen wir davon nicht wesentlich mehr. Wir wissen eben genau, was uns schmeckt.
Gesündere Produkte im Supermarktregal
Auf unsere aktive Konsumentscheidung hätte eine geringe Preisänderung – um sieben Prozent in den meisten Fällen – wahrscheinlich keine großen Auswirkungen. Vielleicht würden die Produkte, die bei uns im Einkaufswagen landen, aber trotzdem ein bisschen gesünder werden.
Die Steuer auf stark zuckerhaltige Getränke in Großbritannien hat beispielsweise dafür gesorgt, dass Hersteller ihre Rezeptur verändert haben, um die Steuer zu umgehen. Dort kaufen die Menschen zwar immer noch ähnlich viele zuckerhaltige Erfrischungsgetränke wie zuvor – die konsumierte Zuckermenge pro Haushalt sank aber.
Keine Mehrwertsteuer - Wer soll das bezahlen?
Durch das Aussetzen der Mehrwertsteuer würde Geld in den Staatskassen fehlen. Ausgaben müssten also entweder an anderer Stelle gekürzt oder Gelder über andere Wege eingenommen werden. Die Mehrwertsteuer spülte im Jahr 2022 insgesamt knapp 285 Milliarden Euro in die Staatskasse. Nur etwa fünf Prozent davon steuerte der ermäßigte Steuersatz bei, unter welchen ein großer Teil der Lebensmittel fällt.
Eine Berechnung der Uni Hamburg legt nahe, dass die Kosten im Gesundheitssektor allein durch den Wegfall der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse um über neun Prozent sinken könnten – knapp sechs Milliarden Euro. Geld, das man zur Finanzierung einer solchen Steuerentlastung nutzen könnte. Auch eine zusätzliche Steuer auf ungesunde Lebensmittel könnte einen Teil der fehlenden Steuereinnahmen kompensieren. Die könnte auch den positiven Effekt auf die Gesundheit der Bevölkerung vergrößern.
Steuern auf ungesunde Lebensmittel
In einigen Ländern wurden bereits verschiedene Steuern auf Lebensmittel eingeführt. Unter anderem in Frankreich, den USA und Norwegen werden beispielsweise stark zuckerhaltige Getränke zusätzlich besteuert. Dänemark führte 2011 die Fettsteuer ein und Ungarn belegt "Junk Food" mit einer Extrasteuer.
Tatsächlich zeigen solche Steuern Wirkung. Die Steuer auf gesättigte Fettsäuren in Dänemark führte beispielsweise zu einem Rückgang des täglichen pro-Kopf-Konsums von Fett um etwa sechs Gramm. Ausgehend von einer Gesamtfettaufnahme in Dänemark bei Männern von durchschnittlich 111 Gramm und bei Frauen 83 Gramm pro Tag, gilt das als bedeutsam.
Die Steuer wurde trotzdem wegen hoher Verwaltungskosten und Einkaufstourismus schon ein Jahr später wieder abgeschafft. Die dänische Bevölkerung tätigte ihre Lebensmitteleinkäufe wegen der hohen Preise lieber im Ausland.
Negative Effekte bei einer "Junk Food"-Steuer
Ein Nachteil: Durch eine Steuer beginnen Menschen, teure Lebensmittel mit anderen zu ersetzen. Werden fetthaltige Produkte durch eine Steuer teurer, greifen wir oft zu Produkten mit einem höheren Zuckeranteil. Neben der Energieaufnahme würde sich dann auch die Nährstoffaufnahme insgesamt ändern.
Einige fetthaltige Lebensmittel enthalten beispielsweise Vitamine oder Calcium. Würden wir weniger dieser Lebensmittel aufnehmen, würden wir auch weniger von diesen Nährstoffen zu uns nehmen. Das könnte unter Umständen sogar zum Nährstoffmangel führen.
Die eigene Entscheidung
Eher ungesunde Lebensmittel werden durch eine Nullsteuer auf gesunde Lebensmittel verhältnismäßig teurer. Kommt beispielsweise noch eine Fett- oder Zuckersteuer auf bestimmte Lebensmittel hinzu, vergrößert sich der Preisunterschied weiter. Die Schokoladentafel wird für uns dann vielleicht irgendwann zum Luxus.
Gegensprecher:innen einer Mehrwertsteueränderung halten sie für einen übergriffigen Versuch, unseren Speiseplan zu verändern. Was uns schmeckt und was uns guttut, das wissen wir doch eigentlich am besten.
Wäre das günstiger?
Immerhin würden wir durch das Aussetzen der Mehrwertsteuer ein bisschen beim Lebensmitteleinkauf im Supermarkt sparen – auch wenn weniger Mehrwertsteuer nicht automatisch zu günstigeren Preisen führt.
Studien zur Steuersenkung während der Pandemie lassen aber vermuten, dass ein Großteil der Ersparnis bei den Kundinnen und Kunden ankommen würde. Bei Lebensmitteln und nichtalkoholischen Getränken wurde die Senkung zu 80 Prozent weitergegeben. Der Rest blieb beim Handel, der die Preise nicht vollständig angepasst hat.
Wie realistisch ist das?
Seit der Änderung der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie im April 2022 ist es rechtlich möglich, die Mehrwertsteuer für bestimmte Lebensmittel auszusetzen. Spanien probiert das seit Anfang 2023 aus. Dort muss bis Ende September 2024 keine Mehrwertsteuer auf bestimmte Lebensmittel gezahlt werden. Es geht dabei unter anderem um Obst, Gemüse, Brot, Mehl, Milch, Käse und Eier. Auch Portugal testet dieses Modell.
Mehr Informationen zum Thema:
Studie über die Auswirkungen der Besteuerung von Lebensmitteln in Neuseeland (sciencedirect.com)
Umfrage zum Verbrauch von Milchprodukten (ble.de)
Artikel des Bundeszentrums für Ernährung über die Bedeutung von Nüssen im Speiseplan (bzfe.de)
Studie zu den Auswirkungen einer Fettsteuer auf Lebensmittel (researchgate.net)
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