Staatsvertragsentwurf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Stand: 10.10.2024, 14:00 Uhr

Stellungnahme des WDR-Rundfunkrats im Rahmen der öffentlichen Anhörung (Stand 10. Oktober 2024)

Der WDR-Rundfunkrat hat sich eingehend mit den Empfehlungen des Rats für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Zukunftsrat) und dem nun vorliegenden Entwurf des Reformstaatsvertrags befasst und nimmt innerhalb der sehr kurzen Frist nachfolgend zu den Anpassungen durch den Reformstaatsvertrag Stellung.

Der Diskussionsentwurf zum Reformstaatsvertrag ist auf den Seiten der Rundfunkkommission der Länder hier abrufbar.

Der WDR-Rundfunkrat bedauert, dass ursprünglich geplante Reformen im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag nicht zur Konsultation vorgelegt wurden, etwa die Möglichkeit der periodenübergreifenden Rücklagenbildung im Rahmen des KEF-Verfahrens oder auch eine sog. „Korridorlösung“ bei Beitragsfestsetzungen der KEF. Ungeachtet dessen bekräftigt der WDR-Rundfunkrat seine Forderung, dass der KEF-Empfehlung aus dem 24. Bericht die verfassungsrechtlich gebotene Beitragserhöhung auf 18,94 Euro durch die Länder zum 1. Januar 2025 folgen muss. Ein Verstoß gegen die Finanzierungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks würde zwangsläufig eine juristische Auseinandersetzung provozieren. Denn in diesem Fall wären die ARD-Verantwortlichen aus Sicht des WDR-Rundfunkrats verpflichtet, die legitimen Ansprüche auf dem Rechtsweg geltend zu machen. Der WDR-Rundfunkrat appelliert darüber hinaus an den Gesetzgeber, sich durch die mögliche Neuzuordnung beitragsferner Leistungen – wie z. B. der Finanzierung der Landesmedienanstalten oder dem Ausgleich von Beitragsbefreiungen oder der Filmförderung – auch selbst um eine Reduktion des Rundfunkbeitrags zu bemühen.

Effiziente Steuerungs- und Organisationsstrukturen / Federführungsprinzip

Die föderale Struktur der ARD sorgt im Wesentlichen dafür, dass die Vielfalt des kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Lebens in Deutschland programmlich widergespiegelt und reflektiert wird. Sie ist von unschätzbarem Wert, trägt zur Legitimität der ARD bei und muss erhalten werden. Um die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland zu sichern, muss zugleich angesichts der immer schneller werdenden Veränderungsprozesse durch die digitale Transformation die ARD effizienter und strategischer handeln können. Dabei muss die Autonomie der einzelnen Landesrundfunkanstalten grundsätzlich gewahrt bleiben und die regionale Berichterstattung der Anstalten im dezentralen, föderalen Zusammenschluss gesichert sein. Nicht nur in den Programmen der einzelnen Landesrundfunkanstalten, sondern auch im Gemeinschaftsangebot der ARD muss sich weiterhin die kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt der verschiedenen Landesteile widerspiegeln, um die Identifikation mit einem öffentlich-rechtlichen Programmangebot zu stärken, das nah bei den Menschen ist.

Vor allem in programmlicher Hinsicht sollten die Intendantinnen und Intendanten künftig gemeinsame Strategien, eine effektive Steuerung und abgestimmte Instrumente zugrunde legen, um Entscheidungsprozesse schneller, effizienter und verbindlicher zu machen. Dafür müssen geeignete Strukturen sowie ein klares und eindeutiges Federführungsprinzip entwickelt werden, das sowohl auf der operativen Ebene wie auch im Bereich der Aufsicht unkompliziert und nicht zu kleinteilig sein darf. Die jetzt vorgesehene Federführungslösung muss schlagkräftiger ausgestaltet werden. Maßstäbe für eine effiziente Steuerungs- und Aufsichtsstruktur unter einem Federführungsprinzip müssen sein: eine klare und nicht ständig wechselnde Aufgabenverteilung, eindeutige und nicht mehrfache Zuständigkeitsund Verantwortlichkeitsebenen und strategische Leitlinien, an denen die ARD-Gemeinschaft als Ganzes sowie der jeweilige Federführer sich innerhalb der Aufgabenteilung orientieren können. Gemeinschaftliche Angebote benötigen ergänzend auch gemeinschaftliche Kontrolle und klare, leistungsfähige Verantwortungsstrukturen.

Mit Blick auf Technik und Verwaltung ist ein gemeinschaftliches Vorgehen mindestens aus Kostengründen dringend geboten. Hier ist eine stärkere Verantwortlichkeit auf ARD-Ebene vorstellbar. Auf der Basis von Beschlüssen der Intendantinnen und Intendanten käme hier der ARD z. B. in Form eines Verwaltungs- und Technikvorstands die Aufgabe der Steuerung und Umsetzung zu. Die Größe der Aufgaben in diesem Bereich ist allein durch einen Federführer, der diese Aufgabe zusätzlich zu seiner alltäglichen Arbeit übernehmen müsste, nicht effektiv zu stemmen.

Ganzheitliches Aufsichtskonzept für die ARD

Das Federführungsprinzip wird zum Teil bereits angewandt, braucht aber Übersichtlichkeit, Systematisierung und Schärfung. Das Prinzip Federführung bietet Chancen, darf aber nicht zu noch mehr Koordinierungsaufwand führen, das würde dem Ansinnen des Gesetzgebers aus den Bingener Beschlüssen entgegenlaufen („Innerhalb der ARD soll Organisation an die Stelle aufwändiger Koordinierung treten“). Im Reformstaatsvertragsentwurf muss eine Klarstellung erfolgen, welche Gemeinschaftsangebote von ARD (und ZDF) durch welches Aufsichtsgremium in Bezug auf welchen Aufsichtsgegenstand (programmlich, strategisch, finanziell) kontrolliert werden sollen. Die jetzigen Formulierungen im Staatsvertrag bleiben mehr als vage und undurchsichtig – auch durch die Unklarheit des Begriffs „Bereiche“, in denen zusammengearbeitet werden soll und dessen Abgrenzung zu „Angeboten“ –, wo die „federführenden Gremien“ und wo die „geschäftsführenden Gremien“ zuständig wären. Durch die Einführung des Begriffs „geschäftsführende Gremien“ soll offenbar das Problem behoben werden, dass zwar jetzt schon klar ist, welche Gremien im Bereich der Federführung zuständig sind, es aber bislang kein Gremium gibt, dass insbesondere Das Erste in seinem Gesamtprogramm kontrolliert und diesbezüglich auch Entscheidungskompetenzen hat. Beim WDR ist der Rundfunkrat z. B. bei Änderungen der Programmstruktur zustimmungspflichtig. Für das Programm der ARD gibt es bislang kein Gremium, das für solche Fragen zuständig wäre und eine entsprechende Entscheidungskompetenz besitzt. Diesen Mangel jetzt dadurch zu beheben, dass faktisch im jährlichen oder zweijährigen Wechsel das Gremium der ARD-Vorsitzanstalt zuständig ist, ist durch die einzelnen Gremien weder leistbar noch ist es effektiv und wird daher vom WDR-Rundfunkrat abgelehnt.

Der WDR-Rundfunkrat begrüßt die Weiterentwicklung der bisherigen Gremienvorsitzendenkonferenz zu einer Gremienvertreterkonferenz und die erstmalige Zuweisung von gesetzlich formulierten Aufgaben. Eine deutliche Stärkung der GVK ist erforderlich, indem ihr neben der koordinierenden Rolle auch eine programmstrategische Rolle zugewiesen wird, vergleichbar mit den Regelungen der Landesrundfunkgesetze. Es ist unerlässlich, ein Aufsichtsgremium auf Augenhöhe mit der ARD-Programmdirektion und den Intendantinnen und Intendanten zu schaffen, das sich mit den übergeordneten strategischen und programmlichen Fragen auf ARD-Ebene befasst und die damit verbundene Zielerreichung im Rahmen seiner Aufsichtsfunktion kontrolliert. Die vorgeschlagene ständig wechselnde Zuständigkeit für das Gesamtangebot durch die jeweiligen Gremien der Vorsitzanstalt sind diesbezüglich – wie ausgeführt – keine Lösung. Vor diesem Hintergrund lehnt der WDR-Rundfunkrat auch die faktische Abschaffung des ARD-Programmbeirats ab. Der ARD-Programmbeirat ist derzeit das einzige Gremium, das durch seine Arbeit einen Gesamtüberblick über das Programm der ARD sowie der Gemeinschaftssender hat und dadurch in der Lage ist, die Zielerreichung des ARDGemeinschaftsprogramms kompetent und auf der Basis umfangreicher Programmbeobachtungen zu bewerten. Der Programmbeirat leistet wertvolle Arbeit, die sowohl für die Gremien der Landesrundfunkanstalten wie auch der GVK von unschätzbarem Wert sind. Im Bereich der Aufsicht und Kontrolle wäre es aus Sicht des WDR-Rundfunkrats ein schwerer Fehler, dieses Gremium abzuschaffen.

Medienrat

Der WDR-Rundfunkrat hält die Einführung eines Medienrats mit einem Blick von außen auf das Gesamtsystem öffentlich-rechtlicher Rundfunk für sinnvoll. Der Gesetzentwurf sieht für den Medienrat aus guten Gründen vor, dass seine Mitglieder unabhängig und weder an Weisungen noch an Aufträge gebunden sind. Hinzu kommt, dass bei der Besetzung des Medienrats der Grundsatz der Staatsferne zu berücksichtigen ist. Der WDR-Rundfunkrat blickt daher kritisch auf den aktuellen Entwurf, der vorsieht, dass zwei der sechs Experten des Medienrats von den Regierungschefs der Länder benannt werden sollen. Der sich hieraus ergebende politische Einfluss auf das Gremium ist nach Ansicht des WDR-Rundfunkrats zu hoch. Zwar werden die zahlenmäßigen Vorgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Staatsferne eingehalten. Diese Entscheidung bezog sich allerdings auf ein wesentlich größeres Gremium, den ZDF-Fernsehrat. Vorliegend geht es um ein sehr kleines Aufsichtsorgan, dessen Stärke gerade in seiner Unabhängigkeit, seiner Medienkompetenz und der Betrachtung des Systems des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner Gesamtheit unabhängig von der Politik liegen soll.

Der neue Medienrat sollte die Leistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems im Kontext der Gesamtentwicklungen der Medienlandschaft prüfen und einordnen. Maßstab muss dabei ein Gesamtangebot an Information, Kultur und Unterhaltung sein, das demokratische Meinungsbildung, Teilhabe und Vielfalt sowie individuelle Entwicklung ermöglicht und den Zusammenhalt der Gesellschaft fördert.

Aus Sicht des WDR-Rundfunkrats ist es zudem wichtig, die Aufgaben von Medienrat und Rundfunkräten klarer voneinander abzugrenzen und sinnvoll miteinander zu verzahnen. Der aktuelle Entwurf erscheint in der Frage noch nicht ausgereift, wie die anstaltsbezogene Betrachtung der Rundfunkräte und die übergreifende Betrachtung des Gesamtsystems öffentlich-rechtlicher Rundfunk durch den Medienrat ineinandergreifen. Positiv wird bewertet, dass es die Landesrundfunkanstalten unter Einbeziehung ihrer Gremien sind, die bei festgestellten Mängeln in der Auftragserfüllung Maßnahmen ergreifen können, wenn sie die Kritik teilen. Dadurch verbleibt die abschließende Gestaltungshoheit in den Anstalten.

Online-Angebote – insb. unter den Gesichtspunkten „Presseähnlichkeit“ und „Sendungsbezug auf Drittplattformen“

Im Bereich der Online-Angebote hält es der WDR-Rundfunkrat zur Zukunftssicherung des öffentlichrechtlichen Rundfunks für wesentlich, mutiger als bislang auf die veränderten Rahmenbedingungen der Mediennutzung im 21. Jahrhundert einzugehen. Der digitale Wandel macht die klassische Unterscheidung zwischen Rundfunk, Telemedien und Presse nahezu unmöglich und deshalb obsolet. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen werden der Nutzungswirklichkeit der vielfältigen Programmangebote aufgrund der Digitalisierung nicht mehr gerecht.

Der WDR-Rundfunkrat ermutigt den Gesetzgeber, im Bereich der Online-Angebote und Telemedien insbesondere das Dreistufen-Test-Verfahren abzuschaffen wie auch das allgemeine Verbot der Presseähnlichkeit im Dialog mit den Verlegern zeitgerecht zu gestalten. Im Verhältnis Verleger und öffentlich-rechtlicher Rundfunk könnten stattdessen bestehende Kooperationen ausgebaut werden und die Verleger so stärker als bislang an der Auswertung bestehenden Knowhows und vorhandener Ressourcen beteiligt werden. Im Hinblick auf die Telemedien hält der WDR-Rundfunkrat den angedachten Vorbehalt der „Gebotenheit“ als Voraussetzung für die Präsenz auf Drittplattformen für praktisch untauglich, da es außer Frage steht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit Telemedien auch auf Drittplattformen in Erscheinung treten muss, um alle Zielgruppen zu erreichen, und es daher keiner gesonderten Feststellung der Gebotenheit mehr bedarf. Die Frage, in welchem Umfang der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch online in Erscheinung treten darf und muss, sollte nach Ansicht des WDR-Rundfunkrats maßgeblich vor dem Hintergrund seiner Aufgabe, insbesondere der Teilhabe an der demokratischen Willensbildung, beurteilt und festgelegt werden. Ein funktionsgerechter Ansatz, für den mit den erweiterten Möglichkeiten durch den 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag auch schon die Grundlagen gelegt wurden, muss in die Zukunft fortentwickelt werden.

Wer das öffentlich-rechtliche Angebot an Online-Texten pauschal reduzieren und begrenzen will, stellt die Entwicklungs- und Zukunftschancen eines gemeinwohl-verpflichtenden Rundfunksystems fundamental infrage. Der WDR-Rundfunkrat warnt mit Nachdruck vor einer solchen kontraproduktiven Fehlentwicklung der Medienpolitik.

Reduzierung von Hörfunkprogrammen und Spartenkanälen

Soweit im aktuellen Entwurf die Einstellung von Hörfunkangeboten und Spartenkanäle vorgesehen ist, sieht der WDR-Rundfunkrat zwar die Notwendigkeit, Programmangebote mit dem Ziel der Kostenersparnis zu konsolidieren. Hierbei ist jedoch unbedingt darauf zu achten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin in der Lage ist, seinen Programmauftrag – insbesondere auch im Bereich der Kultur – vollumfänglich zu erfüllen und mit seinem Angebot sämtliche Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Der WDR-Rundfunkrat lehnt in diesem Zusammenhang Gestaltungstabus genauso ab wie einseitige Standortinteressen und unsachgemäße Vorfestlegungen. Notwendig ist stattdessen eine vorbehaltlose Prüfung, um zu den besten Lösungen im Sinne des Programmauftrags und des Publikums zu kommen.

Sportberichterstattung – gemeinsame Strategie und Kostenbegrenzung

Eine gesetzliche Begrenzung des Volumens für den Erwerb von Sportrechten im Verhältnis zu den Gesamtausgaben für das Programm in einer Beitragsperiode wird vom WDR-Rundfunkrat kritisch gesehen. Eine solche Begrenzung würde zu einer Einschränkung des Programmauftrags führen und die Programmautonomie und die redaktionelle Freiheit der Sender einschränken. Die ARD deckelt bereits seit mehreren Jahren das Sportrechteerwerbsbudget und beweist damit Kostenbewusstsein. Gleichwohl darf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Sports nicht in Frage gestellt werden. Sport fördert nicht nur die körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden, sondern trägt auch zur sozialen Integration und zum Gemeinschaftsgefühl bei. Darüber hinaus hat der Sport eine hohe kulturelle Bedeutung und bietet eine Plattform für Identifikation und Emotionen. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, mit dem ZDF und dem Deutschlandradio eine gemeinsame Strategie für die Sportberichterstattung zu entwickeln, die sicherstellt, dass Sport in seiner Gesamtheit im öffentlichrechtlichen Rundfunk seinen Platz findet. Dazu gehören gesellschaftlich bedeutsame Sportarten und -ereignisse, die keiner oder nur einer geringen kommerziellen Vermarktung unterliegen, gleichermaßen wie bedeutende Großsportereignisse. Im Übrigen deckeln bereits die seit Jahren unterhalb der Inflationsrate liegenden Steigerungsraten des Rundfunkbeitrags die Möglichkeiten des Sportrechteerwerbs und einer umfänglichen Berichterstattung.