In weniger als einer Minute verwandelt sich Haitis bevölkerungsreichste Region in ein Leichen- und Trümmerfeld. Das Erdbeben, das vor fünf Jahren die Inselrepublik in der Karibik trifft, ist mit Stärke 7 auf der Richter-Skala eines der schwersten in der Menschheitsgeschichte. 300.000 bis 400.000 Menschen kommen ums Leben, mindestens ebenso viele werden verletzt. Rund 1,5 Millionen Einwohner in einem der ärmsten Länder der Welt verlieren ihr Zuhause.
Mehr als ein Dutzend Erdbeben haben Haiti allein in den vergangenen 300 Jahren erschüttert. Unter dem Inselstaat stößt die Karibische an die Nordamerikanische Platte, die tektonische Verschiebung beträgt pro Jahr zwei Zentimeter. Genau über der Bruchkante steht die Hauptstadt und Millionenmetropole Port-au-Prince. Dort befindet sich das Epizentrum des Bebens vom 12. Januar 2010, das Haiti, zuvor schon das Armenhaus der westlichen Welt, in tiefstes Elend stürzt.
Keine Pläne für den Notfall
Trotz der gefährdeten Lage ist das politisch instabile Land in keiner Weise auf eine Katastrophe vorbereitet. Die meisten Toten werden in ihren Häusern Opfer einer für eine Erdbebenregion völlig ungenügenden Bautechnik. Nahezu ganze Städte stürzen ebenso ein wie der Präsidentenpalast und die Kathedrale von Port-au-Prince. Pläne der Regierung für den Notfall gibt es schlicht nicht. Die schon zu Normalzeiten mangelhaft funktionierende Infrastruktur bricht durch das Beben vollends zusammen. Straßen, Energieversorgung, Rettungs- und Ordnungswesen gibt es nicht mehr.
Als die ersten ausländischen Hilfskräfte eintreffen, herrscht überall Chaos. Mit bloßen Händen graben Retter und Einheimische in den Schuttbergen nach Überlebenden und Leichen. Schweres Gerät ist über die zerstörten Straßen nur langsam heranzuschaffen. Regierung und Behörden erweisen sich als unfähig, die aus aller Welt angebotenen Rettungsmaßnahmen zu koordinieren, was häufig zu lähmendem Kompetenzgerangel führt. Überall im Erdbebengebiet nutzen Kriminelle den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung zu Gewaltorgien, Plünderungen und schwunghaftem Kinderhandel.
Haitis endloses Elend
Die Zahl der Toten kennt niemand genau, bei Temperaturen um 40 Grad bleibt keine Zeit, sie zu identifizieren. Zu Tausenden werden sie in Massengräbern verscharrt oder auf Müllkippen verbrannt. Die Überlebenden vegetieren unter desolaten Bedingungen dahin, sauberes Wasser bleibt für die meisten Mangelware. So bricht im Oktober 2010 die gefürchtete Cholera aus. Mehr als 8.000 Haitianer sind der Katastrophe nach der Katastrophe bislang zum Opfer gefallen, mindestens 600.000 gelten nach UN-Schätzungen als infiziert.
Der Löwenanteil von über zehn Milliarden Euro Spenden aus aller Welt liegt noch immer auf Eis. Die Regierung ist nicht in der Lage, das Geld demokratisch zu verteilen. Der Wiederaufbau des verwüsteten Landes bleibt Konzernen und Nichtregierungsorganisationen überlassen. Fünf Jahre nach dem Beben, berichtet der Schriftsteller und Reporter Hans Christoph Buch, wimmelt es in Haiti von Hilfsorganisationen. Für den gebürtigen Haitianer, der die Flucht von Diktator "Baby Doc" Duvalier und die mörderische Ära unter Präsident Aristide miterlebt hat, sind die Helfer jedoch die Hauptursache des endlosen Elends. Buchs Fazit: "Man hat Haiti entmündigt. Alles wird nun von irgendeiner Hilfsorganisation repariert und nicht mehr von den Einwohnern selbst, wie es früher war."
Stand: 12.01.2015
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 12. Januar 2015 ebenfalls an das Erdbeben in Haiti. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.