Der bärtige Späthippie mit Latzhose und lustigem Namen, der Anfang der 80er Jahre immer häufiger ins Fernsehen kommt, irritiert die meisten Deutschen. Wau Holland ist Hacker, spioniert also in der fremden neuen Computerwelt herum und knackt aus Spaß die Rechner anderer Leute. Das klingt kriminell, aber dieser Hacker aus Hamburg klaut nicht, macht nichts kaputt und hilft auch noch beim Lösen von Sicherheitsproblemen. Was soll man davon halten?
Wau Holland, der eigentlich Herwart Holland heißt und sich "Komputerfriek" nennt, hat 1981 mit einigen Gleichgesinnten den Chaos Computer Club (CCC) aus der Taufe gehoben. Sie verstehen sich, analog zu den Robin-Wood-Umweltaktivisten als Robin Data der Cyberwelt. Unter der Losung "Nach uns die Zukunft" gründet die Hackertruppe im Februar 1984 in Hamburg den CCC offiziell als Verein.
Kampf dem Gilb
"Verwirklichung des neuen Menschenrechts auf weltweiten freien, unbehinderten und nicht kontrollierbaren Informationsaustausch" schreibt sich der CCC auf seine Fahne. Das Monopol auf die zur Datenübertragung nötigen Geräte liegt allerdings bei der Bundespost, und der "Gilb" (Hacker-Jargon) zeigt keinerlei Verständnis für die kreativ-kritischen Datenreisenden. Umso größer ist der Triumph des CCC, als Wau Holland 1984 die neuen Computer-Kommunikationssysteme Telebox und BTX der Post hackt und schwere Sicherheitslücken aufdeckt.
"Ein Computerspezialist hat uns heute vorgeführt, wie man einfach per Knopfdruck 135.000 Mark erbeutet", berichtet das ZDF-"Heute Journal" und löst damit eine echte Schockwelle aus. "Das war im Orwell-Jahr der erste große Computerknaller", erinnert sich später Hollands Mitstreiter Steffen Wernery. "Danach hat es dann richtig im CCC gerappelt und wir haben uns gesagt: Jetzt müssen wir irgendwas tun.“ So entsteht die Idee zu einem Kongress, um die Diaspora der Computerfans und –bastler in Deutschland erstmals zusammenzubringen.
Expertisen für Karlsruhe
Rund 400 Hacker, Cracker und Programmierer treffen sich am 27. Dezember 1984 zum "Chaos Communication Congress" in einem Hamburger Bürgerhaus. "Offene Netze – warum?" - unter diesem Motto diskutieren sie zwei Tage über den Kampf gegen den "Gilb", lernen Modems zu basteln und besuchen Workshops mit Themen wie "Jura für Hacker". Auch "alternative Erkundungen" bei Feuerwehr-Leitstellen und eine Hafenrundfahrt stehen auf dem Programm. Obwohl die von der Presse erhoffte Hack-Sensation ausbleibt, wird das Treffen als Info-Börse ein enormer Erfolg. Seither lädt der CCC jährlich vor Silvester zum Chaos Communication Congress; den bislang letzten 2013 besuchten über 9.000 Teilnehmer.
Von den "Black Hats", den schwarzen Schafen der Szene, grenzt sich der Chaos Computer Club durch strikte Ethikregeln ab: Nicht gegen Bezahlung für fremde Interessen arbeiten, keinen Schaden anrichten, die Privatsphäre anderer achten. Der CCC deckt auch weiter gravierende Lecks in IT-Systemen auf und stößt Diskussionen in den Medien an. Einst als Anarcho beargwöhnt, erhält Wau Holland in den 90er Jahren eine Honorarprofessur für Informatik. Mit nur 49 Jahren stirbt er im Juli 2001 nach einem Schlaganfall. Nicht zuletzt dank ihres Pioniers und Sprechers haben sich die Netz-Rebellen einen Ruf als wachsame Streiter für Datenschutz und Bürgerrechte erworben. Selbst das Bundesverfassungsgericht lässt sich in Datenfragen vom CCC beraten.
Stand: 27.12.2014
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