Europa am Ende des Zweiten Weltkriegs: 14 Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten müssen sich eine neue Heimat suchen. Sie flüchten vor der Roten Armee oder werden vertrieben. Nazi-Deutschland hat in den Jahren zuvor den ganzen Kontinent terrorisiert. Nun müssen vor allem die Vertriebenen dafür büßen - so deren Wahrnehmung. Einer von ihnen, Waldemar Kraft, will eine Partei gründen: "Wir werden dafür eintreten (...), der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das ganze deutsche Volk den Krieg verloren hat und dass infolgedessen alle Deutschen gemeinsam die Zeche (...) zu zahlen haben!"
Doch Kraft muss feststellen, dass er seine Absicht nicht realisieren darf. Noch entscheiden die Alliierten, welche Parteien zugelassen werden. "Sie hatten Angst vor den Vertriebenen", sagt Professor Frank Bösch vom Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam. Es sei eine Radikalisierung nach links oder rechts befürchtet worden. Nach der Gründung der Bundesrepublik, als die Alliierten nicht mehr zustimmen müssen, trifft sich eine Gruppe Vertriebener und gründet den "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE). Am 8. Januar 1950 wird er offiziell als Partei zugelassen - mit Waldemar Kraft an der Spitze. Die politische Forderung lautet "Lebensrecht im Westen, Heimatrecht im Osten".
Adenauer bindet BHE-Politiker an sich
Bei Wahlen kommt der BHE aus dem Stand auf zweistellige Ergebnisse. Bei der Landtagswahl 1950 in Schleswig-Holstein erreicht die Partei 23,4 Prozent, wenig später bei der Landtagswahl in Bayern sind es 12,3 Prozent. Beide Bundesländer haben besonders viele Flüchtlinge aufgenommen. Die anderen Parteien reagieren auf die Wahlerfolge: 1952 verabschiedet der Bundestag das Lastenausgleichsgesetz. Wer durch die Vertreibung Vermögen verloren hat, wird nun entschädigt. Nach der Bundestagswahl 1953 schafft es der BHE sogar in die Regierung. Unter Kanzler Konrad Adenauer (CDU) stellt der BHE zwei Minister: Waldemar Kraft und Theodor Oberländer.
Der BHE gibt sich pragmatisch. Auf Landesebene arbeitet er auch mit der SPD zusammen. "Der BHE testete aus, welche Partei ihm in der Regierung mehr Posten gab und übernahm damit die Rolle, die später die FDP auch einnahm", so Historiker Bösch. Adenauer habe deshalb versucht, führende BHE-Politiker an sich zu binden - mit Posten, politischen Zugeständnissen und Geld. "Mehrfach wurden dem BHE große Spendengelder über die CDU zugeleitet - gegen das Versprechen, nicht mit der SPD zusammengehen."
BHE hat größten Alt-Nazi-Anteil
Während die BHE-Basis noch immer von der Rückkehr in den Osten träumt, schafft Adenauer mit seiner Westintegration Fakten. Er bindet die Bundesrepublik an Westeuropa und die USA. Die Teilung Europas in zwei feindliche Blöcke scheint besiegelt. Der BHE begehrt dagegen auf - zumindest symbolisch: 1952 erweitert die Partei ihren Namen um den Zusatz "Gesamtdeutscher Block". Die ehemaligen deutschen Ostgebiete sollen nicht aufgegeben werden. Doch die beiden Bundesminister Kraft und Oberländer wollen ihrem Kanzler die Gefolgschaft nicht verweigern und bringen damit ihre Partei gegen sich auf. Im Juli 1955 kommt es zum Eklat: Die beiden treten aus dem BHE aus, werden CDU-Mitglieder und behalten ihre Ministerämter - wie mit Adenauer abgemacht.
Doch dann wird deren braune Vergangenheit öffentlich. Beide waren in der NSDAP gewesen. Oberländer hatte zudem als Dekan der Reichsuniversität Prag in pseudo-wissenschaftlichen Schriften gegen Slawen und Juden gehetzt. Kein Wunder, dass der BHE stets auch dafür eingetreten war, es mit der Entnazifierung nicht so genau zu nehmen. "Es gab keine Partei im Deutschen Bundestag, die einen so großen Anteil ehemaliger Nationalsozialisten hatte", sagt Professor Bösch. Kraft ist noch bis Oktober 1956 Bundesminister für besondere Aufgaben, Oberländer tritt auf anhaltenden öffentlichen Druck 1960 als Vertriebenenminister zurück. Der BHE hat inzwischen seine politische Schlagkraft verloren. Bereits bei der Bundestagswahl 1957 war er unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht. Im April 1961 schließt sich der BHE mit der Deutschen Partei (DP) zur Gesamtdeutschen Partei (GDP) zusammen, die sich noch bis 1963 in einigen Landesregierungen halten kann.
Stand: 08.01.2015
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