Unabhängigkeit von wirtschaftlichen und moralischen Fremdinteressen verspricht der Herausgeber Hubert Beuve-Méry Frankreichs Öffentlichkeit. Seine Tageszeitung "Le Monde", deren erste Nummer am 18. Dezember 1944 in Paris erscheint, werde "keinerlei Einfluss unterliegen, sei es dem einer Bank, einer Regierung, eines Ministeriums, einer Firma oder einer Kirche".
Beuve-Méry hält Wort. Eingeschworen auf seine ehernen Prinzipien "klar, wahr, rasch, vollständig" steigt die Tageszeitung unter seiner bis 1969 währenden Leitung zum Flaggschiff der französischen Presse auf. Nüchtern im Layout und von brillanten Autoren geschrieben, gilt "Le Monde" seit 70 Jahren international als die Referenz für gründliche Recherche, aufregende Reportagen und sachlich-unparteiische Berichterstattung.
Keine Richtung, nur Standpunkte
Geistiger Vater der Pariser "Welt" ist General Charles de Gaulle persönlich. Der provisorische Regierungschef braucht 1944 nach der Rückkehr in das von den Nazis befreite Frankreich eine unbelastete "große Zeitung". Als Stimme Frankreichs soll sie weltweit bis in höchste Kreise Gehör finden. Der als Herausgeber erkorene frühere Résistance-Kämpfer Beuve-Méry denkt aber nicht daran, einen regierungsamtlichen Kurs zu steuern. "Le Monde" bezieht hart Stellung gegen Frankreichs Kriege in Indochina und Algerien, kritisiert leidenschaftlich de Gaulles Verfassung der 5. Republik und bringt den General mit der Ablehnung einer Direktwahl des Staatspräsidenten zur Weißglut.
Einem vorgegebenen Kurs müssen sich die rund 400 Redakteure bis heute nicht beugen, allgemein gilt das Blatt als linksliberal. "Es gibt keine Richtung, nur Standpunkte", erklärt Ressortchef Christophe Ayad. Ein Eckpfeiler der Unabhängigkeit ist das Redaktionsstatut "Societé des redacteurs" von 1951. Es sichert den Journalisten die freie Wahl des Redaktionsleiters zu und macht alle Beschäftigten von "Le Monde“ zu Aktionären der Zeitung. Das von den Parisern sorgsam gepflegte Image als Elite des Printjournalismus ruft aber auch heftige Kritik an der beanspruchten Deutungshoheit und Integrität hervor.
Mit "militanter Blindheit" geschlagen
Das Enthüllungsbuch "Die verborgene Seite der 'Monde'" löst 2003 ein wahres Erdbeben in der Redaktion aus. Auf über 600 Seiten klagen zwei Journalisten die Zeitung der Selbstherrlichkeit, der Manipulation und des Machtmissbrauchs an. Alle Spitzenposten des Traditionsblattes werden danach neu besetzt. Ex-Redaktionsdirektor Edwy Plenel, einer der besten Investigativ-Journalisten Frankreichs, bekennt in einem Interview: "Ich hatte eine Art militante Blindheit als 'Monde'-Direktor. Ich glaubte an eine Sache und wollte wohl nicht darauf hören, was man mir sagte."
Sieben Jahre später verlieren die "Monde"-Mitarbeiter ihren Mehrheitsanteil an dem zum Multimedia-Konzern gewachsenen Zeitungshaus. Im Juni 2010 macht das bedrohlich steigende Defizit den Verkauf an ein Investoren-Trio unter Führung des Mode-Unternehmers Pierre Bergé unausweichlich. Die Autonomie des Blattes bleibe erhalten, betont der neue Aufsichtsratsvorsitzende. Auch ihren Direktor kann die Redaktion weiter selbst wählen, den Kandidatenkreis bestimmen allerdings die Großaktionäre. Im Jubiläumsjahr 2014 erreicht "Le Monde" täglich mehr als zwei Millionen Menschen, die meisten per Internet, Tablet oder Smartphone. Die klassische Papierausgabe für täglich 2 Euro (samstags 3,80 Euro) kaufen nur noch 20 Prozent der Leser.
Stand: 18.12.2014
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 18. Dezember 2014 ebenfalls an die Gründung von "Le Monde". Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.