"Wanderer, kommst du nach Liechtenstein, tritt nicht daneben, tritt mitten rein", ulkte Blödelbarde Ingo Insterburg über das sechstkleinste Land der Erde. Mit 160 Quadratkilometern ist Liechtenstein zwar gerade so groß wie Aachen, zählt aber zu den weltweit prosperierendsten und am stärksten industrialisierten Ländern. Hunderte Geldhäuser und zehntausende Briefkastenfirmen haben ihren Sitz in der Steueroase der Alpen. Staatsverschuldung ist ein Fremdwort für das kleine Fürstentum.
Den Wohlstand verdanken die Liechtensteiner ihrem Fürsten Franz Josef II., Spross einer der ältesten Adelshäuser Europas. Fast fünf Jahrzehnte steht er als Staatsoberhaupt an der Spitze der Erbmonarchie auf demokratisch-parlamentarischer Basis. Als der Fürst am 13. November 1989 mit 83 Jahren stirbt, besitzt das Haus Liechtenstein ein geschätztes Vermögen von 4,6 Milliarden Euro.
Vaduz wird Familiensitz
Das heutige Liechtenstein gibt es noch nicht, als Franz Josef 1906 in der Steiermark zur Welt kommt. Der Junge wächst auf den Familiengütern in Niederösterreich und Mähren auf, macht in Wien sein Abitur und studiert Forstwirtschaft. 1938, kurz vor dem 32. Geburtstag, erbt Franz Josef von seinem verstorbenen Großonkel den Thron des Hauses Liechtenstein. Als erster Fürst in der langen Reihe seiner Ahnen macht er das Schloss über dem Städtchen Vaduz zum Stammsitz der Familie. Gleich zu Beginn seiner Regentschaft steht Franz Josef II. vor großen Herausforderungen.
Österreich ist an Nazi-Deutschland "angeschlossen", die Sudetenkrise droht und Hitler plant, sich auch das kleine Liechtenstein anzueignen. Franz Josef II. verliert alle Ländereien in Mähren und Schlesien, die Souveränität Liechtensteins aber kann er durch geschicktes Taktieren bewahren. Verfolgte der Nazis finden in seinem Fürstentum allerdings kaum Aufnahme. "Die Flüchtlingspolitik war nicht eben großartig", bekennt Robert Allgäuer, von 1973 bis 1984 Kabinettsdirektor des Fürsten. "Man hat teils Juden eingebürgert, aber nicht viele hereingelassen." Zudem habe Liechtenstein wirtschaftlich mit dem Hitler-Regime kooperiert und toleriert, dass einheimische Industriebetriebe im Zweiten Weltkrieg Munition lieferten.
Bankgeheimnis und Wirtschaftsboom
Durch Enteignungen im Osten verliert das Haus Liechtenstein 1945 rund 80 Prozent seines Grundbesitzes. Energisch macht sich der Fürst daran, das noch weitgehend agrarische Liechtenstein in ein modernes Industrie- und Finanzzentrum zu verwandeln. Die Regierung gewährt hohe fiskalische Vorteile für reiche Anleger und erlässt eins der strengsten Bankgeheimnisse der Welt. Unzählige Holdings und Stiftungen pumpen Abermilliarden in das Steuerparadies, sind dort aber nur mit dem sprichwörtlichen Briefkasten vertreten. Auch die einheimische Wirtschaft boomt, vor allem in den Bereichen Baumaschinen und Nahrungsmittel. Allein der weltbekannte Spezialbohrer-Konzern Hilti beschäftigt in Liechtenstein fast 2.000 Mitarbeiter.
Seit 1943 ist Franz Josef II. mit der Grafentochter Gina von Wilczek verheiratet. Nach dem Krieg nimmt das Fürstenpaar in Liechtenstein tausende nationalrussische Soldaten auf, die gegen Stalin gekämpft hatten, und bewahrt sie so vor sowjetischer Gefangenschaft. Später begründet das Regentenpaar das Rote Kreuz und karitative Einrichtungen in Liechtenstein. Bei den immer wohlhabender werdenden Bürgern genießt die skandalfreie Fürstenfamilie höchste Anerkennung. Landesvater Franz Josef II. wird als Garant der Stabilität verehrt, seine Regierungsjubiläen sind Anlass großer Volksfeste. 1984, fünf Jahre vor seinem Tod, übergibt der Fürst die Ausübung der Hoheitsrechte seinem Sohn Hans Adam. Ein großer Tag für Liechtensteins Frauen: Nun erhalten auch sie das Wahlrecht.
Stand: 13.11.2014
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