"Ich hab das Gefühl, nie gelernt zu haben, richtig zu leben", notiert Robert Enke in seinem Tagebuch. "Warum wollte ich nie feiern, warum bin ich am liebsten zu Hause, weshalb habe ich mich nie mit anderen Dingen beschäftigt?" Er habe "so eine Angst vor der Meinung der Öffentlichkeit, der Presse und den Blicken der Leute". Der Nationaltorwart ist anders als andere Fußballer. Er lebt mit seiner Frau auf einem Bauernhof, engagiert sich mit ihr für den Tierschutz - und er leidet unter Depressionen. Sein Freund und Biograf Ronald Reng beschreibt ihn als sensibel, demütig und rücksichtsvoll: "Ein sehr empathischer Mensch, der sich sehr reinversetzen konnte in andere Leute".
Geboren wird Robert Enke am 24. August 1977 in der damaligen DDR in Jena. Er ist der Sohn eines 400-Meter-Hürdenläufers und einer Handballerin. "Ich bin praktisch auf dem Sportplatz oder in der Halle aufgewachsen", sagt er später. Beim SV Jena beginnt Robert Fußball zu spielen, zunächst als Stürmer. 1985 wechselt er dank seines Talents zum Lokalrivalen Carl Zeiss und steht dort bald im Tor. Aber von Anfang an quälen ihn Versagensängste. Er habe große Probleme gehabt, so Biograf Reng, mit seinem Eigenanspruch konstruktiv umzugehen.
Nur das engste Umfeld ist eingeweiht
In der Saison 1996/97 spielt Enke für Borussia Mönchengladbach erstmals in der Bundesliga. Er steigt zur Nummer Eins auf. Trotzdem hat er Selbstzweifel. Später schreibt er in sein Tagebuch: "Ich bin immer froh, wenn ich in irgendwelchen Spielen, und seien es Trainingsspiele, nicht spielen muss." Nach dem Abstieg von Borussia Mönchengladbach wechselt Enke zum portugiesischen Erstligisten Benfica Lissabon, fühlt sich aber fremd: "Es ist eine Mischung aus Angst, Nervosität und Heimweh." Nach einer kurzen Auszeit tritt er dennoch an - und wird zum Publikumsliebling und sogar zum Mannschaftskapitän.
2002 unterzeichnet Enke einen Dreijahresvertrag beim weltberühmten FC Barcelona. Doch schon kurz nach der Vertragsunterzeichnung schlägt beim ihm der Erwartungsdruck in Panik um: Bei seinem ersten Spiel kommt es gegen den Drittligisten Novelda CF zu einer Niederlage. "Mindestens an zwei von drei Toren war Robert mit Schuld", sagt sein Biograf Reng. "Das war der Auslöser für seine erste klinische Depression." Die Depression wird noch verstärkt, als Enke vom FC Barcelona an Fenerbahçe Istanbul ausgeliehen wird. Er löst seinen Vertrag und lässt sich therapieren. Nur sein engstes Umfeld weiß Bescheid. Seine Frau, sein Berater und sein Vater, der selbst Psychologe ist, unterstützen ihn. Schließlich kämpft sich Enke über die zweite spanische Liga zurück in die Bundesliga. Er spielt ab 2004 für Hannover 96 und wird drei Mal in Folge zum besten Torhüter der Liga gewählt.
Dem Therapeuten gegenüber verstellt er sich
2004 wird Tochter Lara geboren. Sie hat einen schweren Herzfehler und stirbt im Alter von zwei Jahren nach einer Operation. Schon kurz darauf steht Enke wieder im Tor - und zeigt Glanzleistungen. Die Presse überschüttet ihn mit Lob. 2007 absolviert er als Nationaltorhüter sein erstes Länderspiel gegen Dänemark. Auch privat gibt es gute Nachrichten: Teresa und Robert Enke adoptieren ein kleines Mädchen. Doch dann kehren die Depressionen zurück. "Es hat mich diesmal schnell und unerwartet getroffen", schreibt er am 5. August 2009. Nach außen wirkt Enke jedoch gefestigt. Auch seinem Therapeuten gegenüber verstellt er sich: "Bin nicht immer ehrlich zu ihm", notiert Enke. Sein Biograf Reng sagt dazu rückblickend: "Das ist die Tragik dieser Krankheit, dass es vielen Menschen, die darunter leiden, sehr schwer fällt, sich zu öffnen, überhaupt Hilfe anzunehmen."
Am 10. November 2009 sagt Enke zu seiner Frau, er führe zum Training. Alles scheint normal zu sein. Zwei Tage zuvor war der Torwart beim Spiel gegen den Hamburger SV von einem Reporter noch wegen seiner "guten Präsenz" gelobt worden. Doch als seine Frau ihn nun anruft, ist sein Handy ausgeschaltet. Kurz darauf findet sie seinen Abschiedsbrief. Jede Hilfe kommt zu spät. Robert Enke begeht Suizid: Er wirft sich bei einem Bahnübergang in der Nähe von Hannover vor einen Zug.
Stand: 10.11.2014
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