"Eine Mordtat markiert den Beginn des Ostgotenreichs, die mit keinem der damals gültigen Gast- und Friedensrechte vereinbar ist", erklärt Verena Epp, Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Marburg. Bei einem Gastmahl in Ravenna sollten sich der skrupellose und kluge Ostgotenführer und Eroberer Theoderich und Odoaker, germanischer Stammesführer und König von Italien, einigen. Doch Theoderich meuchelt den König auf hinterhältige Weise. Was der Chronist Johannes von Antiochia von diesem Treffen schildert, ist selbst für jene gewaltsame Zeit ein Tabubruch. "Da stürzte der Theoderich vor und hieb Odoaker das Schwert aufs Schlüsselbein. Der Schlag hatte ihn getroffen und war bis zur Hüfte durchgegangen, da soll Theoderich gesagt haben: Es sei offenkundig. In dem ganzen üblen Kerl stecke kein Knochen." Den Auftrag für den Meuchelmord hatte Theoderich vom oströmischen Kaiser in Konstantinopel erhalten. Der wollte den germanischen Stammesführer Odoaker beseitigen, der von seinen Truppen zum König von Italien erhoben wurde, ohne den Kaiser einzubeziehen.
Völkerfreundschaft zwischen Goten und Römern beginnt
Der Gotenführer Theoderich und seine Gefolgsleute hatten also im Jahr 488 ihren Stammsitz in Ungarn verlassen. Ein Zug von rund 100.000 Menschen, darunter 20.000 Krieger, hatte sich auf den Weg in den Nordosten Italiens gemacht. Dort besiegen Theoderichs Truppen am 28. August 489 erstmals jene von Odoaker. Nach weiteren Niederlagen konnte sich Odoaker nach Ravenna retten und der Bischof der Stadt legte beiden Anführern einen Kompromiss vor. "Man einigte sich zunächst mit Odoaker zum Schein, dass beide gemeinsam über Italien herrschen sollten", sagt die Historikerin Verena Epp. Das Gastmahl, das im Blutbad endete, sollte diese Einigung eigentlich besiegeln.
Nach dem Tod Odoakers wird Theoderich zum König ausgerufen. Der war zwar als Eroberer gekommen, der alle Gastrechte brach, handelt nun aber diplomatisch. Er weiß, dass er seine Ziele, die Landnahme und Ansiedlung, nur mit der eingesessenen römischen Elite durchsetzen kann. Die hat ihre politische Macht längst verloren, deren Lebensstil muss Theoderich dennoch respektieren. "Wenn die Eroberer gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung stellen, aber über 98 Prozent der Provinzialrömer herrschen wollen, brauchen sie ein Gespür dafür, was sie der Mehrheit zumuten können. Denn die möchte natürlich ihre Lebensgrundlagen, ihre kulturellen Traditionen, ihr Recht gewahrt wissen", erklärt die Historikerin Epp. Das Gotenreich auf weströmischem Boden wird ein Schmelztiegel der Spätantike. "In den Quellen wird sogar von einer Völkerfreundschaft gesprochen, die die Goten und Römer als Nachbarn begonnen hätten", sagt Epp. Das ehemalige Weströmische Reich erlebt eine späte Blüte, die aber den Tod des Theoderich im Jahr 526 nicht überdauert - weil er keinen männlichen Nachkommen hat.
Machtanspruch der Kirche besiegelt Ende der Antike
Unter den gotischen Führern bricht ein Konflikt um die Nachfolge aus, der oströmische Kaiser muss Truppen schicken. Zwei Jahrzehnte dauert der Kampf um Rom. Er endet mit der Niederlage der Goten und der Verwüstung Italiens. Die antike Stadtkultur verschwindet nach und nach und eine landwirtschaftlich geprägte Kultur entsteht, die ein entscheidendes Merkmal des Mittelalters wird. "Träger der Kultur werden nun die Klöster – und die werden zunächst auf dem Land gegründet", erklärt Epp.
Mit dem Untergang von Theoderichs Reich verändern sich auch die politischen Koordinaten auf dem europäischen Kontinent. Der Mittelmeerraum verliert an Bedeutung. Das Frankenreich der Merowinger, nördlich der Alpen, steigt zur führenden Macht auf. Zudem profitiert die Kirche vom Zerfall des Weströmischen Reichs. Der Papst und das katholische Christentum formulieren bald ihren weltlichen Machtanspruch und besiegeln somit das Ende der Antike. "Gott wird im Mittelalter der Orientierungspunkt der Weltdeutung schlechthin", sagt Epp.
Stand: 28.08.2014
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