Ernst Gennat, Leiter der ersten Mordkommission in Berlin, ärgert sich manches Mal über vernichtete Spuren am Tatort. Denn preußische Beamte am Anfang des 20. Jahrhunderts verspüren oftmals den Drang, ein wenig aufzuräumen, bevor die Ermittler der Mordkommission ankommen. Anfangs drapieren Beamte sogar die entdeckten Leichen etwas freundlicher – der Pietät wegen.
Eine Mordkommission, die professionell arbeitet, eine bessere Spurensicherung und eine Zentraldatei für Mordfälle – all dies hat die Kriminalpolizei in Deutschland Ernst Gennat zu verdanken. Sogar der Krimischriftsteller Edgar Wallace ist dreimal in dem Backsteinbau des Berliner Polizeipräsidiums am Alexanderplatz zu Gast, um Gennats Kartei zu studieren – und Anregungen für seine Romane zu suchen. Im Gegensatz zu einigen berüchtigten Mördern ist Gennat inzwischen in Vergessenheit geraten. Im Berlin der 1920er-Jahre ist der Kriminalkommissar jedoch eine Berühmtheit: Der Leiter der erfolgreichsten Mordkommission Deutschlands hat einen riesigen Kopf, dazu ein mehrstöckiges Doppelkinn und einen massigen Körper. Ständig soll er Bockwurst gegessen haben oder Kuchen, daher stammen seine Spitznamen "Buddha von Berlin" oder "der volle Ernst".
Das schwarze "Mordauto" ist bald in ganz Berlin bekannt
Ernst Gennat, geboren 1880, nimmt 1904 nach abgebrochenem Jurastudium den Polizeidienst auf. Einen lose organisierten Mordbereitschaftsdienst gibt es zwar bereits. "Doch die Kriminalpolizei war zu diesem Zeitpunkt mit ehemaligen Offizieren der Schutzmannschaft besetzt. Und der militärische Drill behinderte die Arbeit mehr als dass er sie beförderte", sagt Bärbel Fest von der Polizeihistorischen Sammlung Berlin. Erst mit Gennat wird 1926 aus dem Mordbereitschaftsdienst eine feste "Zentrale Mordinspektion", die er selbst leitet.
Gennat erkennt schnell, dass es an Richtlinien und Ausrüstung zur Spurensicherung mangelt. Er will viel mehr Werkzeuge zum Tatort mitnehmen als bislang üblich. "Zur Aufbewahrung von Beweisstücken sind runde Deckelgläser, verschiedene Pappkartons, Flaschen, Glashülsen und -röhrchen vorhanden. An sonstigem Handwerkszeug verschiedener Art werden mitgeführt: Mehrere große Spaten, große und kleine Äxte, eine Kreuzhacke, Drahtschere, ein Brecheisen, Diamantschneider usw.", schreibt er. Auf einmal genügt es nicht mehr, dass die Polizei mit dem Motorrad vorfährt. Ein Polizeifahrzeug muss her, das viel transportieren kann. "Wegen seines Gewichts von rund 130 Kilogramm hat sich Gennat zudem eine Spezialverstrebung unter dem Sitz bauen lassen, damit das Auto nicht zu sehr einsackte", berichtet Bärbel Fest von der Polizeihistorischen Sammlung. Das schwarze "Mordauto" ist bald in ganz Berlin bekannt.
Gennat klärt 95 Prozent der Fälle auf
Ernst Gennat erfindet auch die Zentralkartei für Mordsachen, die weltweit erste Spezialregistratur für Mord- und Totschlag. Lange bevor der Begriff des Profiling auftaucht, notiert Gennat in seiner Kartei alles, was im Zusammenhang mit Morden steht. Wann immer ein neuer Fall auftaucht, versucht er Parallelen zu ziehen. Zudem ist er ein ausgezeichneter Menschenkenner und Psychologe, "der es wie kein anderer versteht, das Vertrauen eines Täters zu erlangen und ihm schließlich in einer geschickt geführten Vernehmung ein Geständnis zu entlocken", schreibt Regina Stürickow, Historikerin und Gennat-Biographin. Auf diese Weise löst er im Laufe seiner 33-jährigen Karriere 297 Mordfälle, eine exzellente Quote von 95 Prozent. In Zeiten des DNA-Abgleichs liegt sie kaum höher: 2012 wurden 96 Prozent der als solche erkannten Fälle von Mord und Totschlag aufgeklärt. Nach schwerer Krankheit war Ernst Gennat am 21. August 1939 gestorben.
Stand: 21.08.2014
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