Die Planungen sind langwierig, der Bau selbst dauert drei Jahre: Ende des 19. Jahrhunderts errichtet die Stadt Hamburg im damals zehn Kilometer entfernten Dorf Fuhlsbüttel einen Gefängniskomplex. Aufgrund der Industrialisierung ist die Zahl der Stadtbewohner gestiegen - und damit auch der Bedarf an Haftanstalten. Das erste Gebäude, das "Central-Gefängnis", wird 1879 fertiggestellt und am 16. August eröffnet.
1906 entsteht ein weiterer Gefängnisbau in Fuhlsbüttel, das später als "Santa Fu" bekannte "Haus II". Es ist angeblich "panoptisch" angelegt: Man soll alles sehen können. Doch das ist ein Mythos, sagt Historiker Christoph Bitterberg. Es handele sich vielmehr um ein Flügelgebäude. "In diese Flügel kann man von einem Zentrum aus hineinschauen." Aber die einzelnen Zellen seien von dort aus keineswegs einsehbar. "Sie müssen dann in den Flügel reingehen und die Zelle öffnen oder zumindest durch das Guckloch gucken."
Konzentrationslager in der Nazi-Zeit
Nach dem Ersten Weltkrieg werden die Haftbedingungen im Hamburger Vollzug gelockert. Insassen können sich in der Weimarer Republik durch gutes Betragen Hafterleichterungen erarbeiten. Prügelrituale werden verboten, die Gefangenen werden nun gesiezt. Dann folgt ein Rückschritt: Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernehmen, kehren sie zum Sühnevollzug der Kaiserzeit zurück. Aus Fuhlsbüttel wird für kurze Zeit ein Konzentrationslager, "Kola-Fu" genannt, und später ein Polizeigefängnis, in dem auch gefoltert wird. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ermorden SA, SS und Gestapo dort 250 Menschen.
Bis in die 1960er Jahre hat der Umgang mit den Gefangenen "einen leichten militärischen Anstrich", wie sich Claus Witt erinnert, der 1962 seinen Dienst als Beamter der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel antrat. "Die wurden also nicht als 'Herr' angesprochen, sondern lediglich mit ihrem Nachnamen." In der täglichen "Freistunde" mussten die Gefangenen im Hof im Drei-Meter-Abstand hintereinander gehen, um so eine Unterhaltung zu unterbinden. Teils geglückte Ausbruchversuche verschärfen um 1970 die Haftbedingungen noch.
Vorbild für liberalen Vollzug
1972 kommt es im "Gebäude II" zu einer Meuterei, bei der zwei Dutzend Insassen auf das Dach gelangen. Ihr Anführer ist Michael Holzner, damals Ende 20, verurteilt wegen Bankraubs. Nach ein paar Tagen werden fast alle von Holzners Forderungen akzeptiert. Zugelassen werden unter anderem Radiogeräte und Armbanduhren. Die Gefangenen können sich weiterbilden und erhalten mehr Mitspracherechte - und einen neuen Anstaltsleiter. Heinz-Dietrich Stark ist Psychologe und verlangt von seinen Beamten: "Jenen Menschen menschlich zu begegnen, die sich draußen unmenschlich verhalten haben." Das Hamburger Gefängnis wird zum Vorbild des liberalen Strafvollzugs. Die Gefangenen können sich in der Anstalt frei bewegen, selbst kochen und Haustiere halten.
Ab Mitte der 1970er Jahre und bis in die 1990er Jahren kommt es allerdings zu einigen Skandalen - Ausbrüche, Revolten, Morde. Häftlinge entkommen in Kartons eingepackt, über stehen gelassene Leitern und mit Seilen aus der gefängniseigenen Seilerei. "Santa Fu - und raus bist du!" titelt in den 1980er Jahren ein Boulevardblatt. Für die Vorkommnisse gibt es mehrere Ursachen: menschliches Versagen der Vollzugsbeamten, organisierte Kriminalität, Drogen, ethnisch und politisch motivierte Konflikte. Aber auch der liberale Vollzug sei mitverantwortlich gewesen, sagt Christian Braune, Gefängnisseelsorger in der JVA Fuhlsbüttel: "Es war mehr Kommunikation möglich. Es war aber auch mehr Einflussnahme der Gefangenen auf andere, vor allem Schwächere möglich." Seit Anfang des Jahrtausends, als Hamburg von Konservativen und Rechtspopulisten regiert wurde, ist es ein Gefängnis wie jedes andere. Geschlossene Zellentüren, mehr Freiheiten nur bei guter Führung.
Stand: 16.08.2014
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