Es ist kurz nach fünf Uhr morgens am 18. Juli 2009, als in Nachterstedt in Sachsen-Anhalt die Welt absackt. Unter der Siedlung "Am Ring" – gut hundert Meter vom Ufer des gefluteten Tagebaus Concordia-See entfernt – rutscht an diesem Samstagmorgen der Boden weg. Binnen Sekunden rauschen 4,5 Millionen Kubikmetern Erde in den See und reißen zwei Wohnhäuser mit, in denen Menschen schlafen: ein komplettes Doppelhaus und eine Doppelhaushälfte.
Bewohner werden evakuiert
"Da, wo eben noch eine Straße verlief, klaffte auf einmal ein Loch, ein heftiger Anblick", erinnert sich der MDR-Reporter Guido Hensch. Die Abbruchkante ist rund 350 Meter breit. Dahinter geht es hundert Meter fast senkrecht in die Tiefe. Mit den Erdmassen sind drei Menschen versunken. Alle Bergungsversuche scheitern: Weder THW noch Bundeswehr oder Hundestaffeln finden einen Weg in den Schlamm. Und so entscheidet der Katastrophenstab, nicht weiter nach den Opfern zu suchen. Sie gelten bis heute als verschollen.
41 Bewohner müssen ihre Häuser für immer verlassen. "Schon schlimm, wenn Ihnen die Heimat unterm Hinterteil wegrutscht", sagte ein Anwohner damals den Reportern.
Druck auf die Kanten steigt mit der Flutung
Die Suche nach der Unglücksursache beginnt. "Vor dem Tagebau wurde in Nachterstedt unterirdisch Kohle abgebaut, und nicht alle Stollen und Gänge, die damals angelegt wurden, sind kartografisch erfasst", erklärt damals Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Im Sommer 2013 liegen zwei unabhängig voneinander erstellte Gutachten zur Unglücksursache vor, eines vom Lausitzer und Mitteldeutschen Tagebau-Sanierer LMBV und ein Zweites vom Landesamt für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass hoher Grundwasserdruck Ursache des Unglücks gewesen ist. Bis zum Frühjahr 2009 ist in Nachterstedt überschüssiges Grundwasser durch Pumpen kontrolliert abgleitet worden, die dann abgestellt werden. Der Druck auf die Böschung nimmt zu. Vor dem Unglück soll der Grundwasserspiegel bis zu 23 Meter über dem des Seewassers gelegen haben.
Die Siedlung "Am Ring" ist längst abgerissen worden
Fünf Jahre nach dem Erdrutsch von Nachterstedt ist der Concordia-See noch immer gesperrt. Voll geflutet sollte er ab 2015 Touristen anlocken. Die Siedlung "Am Ring" ist längst abgerissen worden. Viele Gaststätten in Ufernähe sind geschlossen, das Ausflugsschiff ist verkauft, die Segler haben sich andere Gewässer gesucht. Die Badewilligen stehen weiter vor Absperrzäunen, die Radwege und der Abenteuerspielplatz werden kaum genutzt.
Denn niemand weiß, ob der See sicher ist. Das Bergamt bestätigt, dass leichte, neue Risse an den Häusern hinter der Kante aufgetreten sind. "Es ist nicht auszuschließen, dass es zu weiteren Abbrüchen kommt, deswegen gilt bei den Sicherheitskräften vor Ort höchste Sensibilität", sagt LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber. Die Anwohner, die das abgebrochene Haus an der Kante gesehen haben, befürchten noch immer, ihre Häuser könnten die nächsten sein.
Stand: 18.07.2014
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