Ein Bundeswehrsoldat sichert das Flugfeld von Masar-e-Scharif im Norden Afghanistans (Aufnahme von 2006)

Stichtag

12. Juli 1994 - Bundesverfassungsgericht billigt Auslandseinsätze

"Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt", sagt Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) am 11. März 2004 in einer Regierungserklärung. "Wir müssen Gefahren dort begegnen, wo sie entstehen." Bis zum Fall der Mauer im November 1989 sind bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr undenkbar. Doch das Ende des Kalten Krieges, die Wiedervereinigung und weltweit neue Konflikte schaffen eine veränderte Ausgangslage.

Deutschland will und soll auf Drängen der Verbündeten "mehr Verantwortung" übernehmen - im Rahmen einer neuen NATO-Strategie, die, auch ohne direkten Angriff auf einen Bündnisstaat, Einsätze außerhalb des NATO-Territoriums erlaubt. Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) passt die verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr bereits 1992 an und erklärt die Bundesrepublik zur "kontinentalen Mittelmacht mit weltweiten Interessen".

NATO als "System kollektiver Sicherheit"

Doch Auslandseinsätze der Bundeswehr wie in Somalia oder die Seeblockade gegen Jugoslawien haben Anfang der 1990er Jahre noch keine gesicherte Rechtsgrundlage. Im Bundestag streiten sich die Parteien um die "Out-of-Area"-Einsätze außerhalb des NATO-Vertragsgebietes. Die Regierungskoalition aus Union und FDP spricht sich im Rahmen von UNO-Mandaten dafür aus, SPD und Grüne lehnen sie ganz ab. Mit der sogenannten Petersberger Wende 1992 ändert die SPD allerdings ihre Position.

Zur Klärung der juristischen Bedingungen von Auslandseinsätzen rufen die SPD und die FDP das Bundesverfassungsgericht an. Am 12. Juli 1994 erklärt Karlsruhe die Einsätze für rechtens: Artikel 24 des Grundgesetzes erlaube den Beitritt zu einem "System kollektiver Sicherheit", in dem Deutschland auch militärische Rechte und Pflichten habe. Neu daran ist, dass das Gericht neben der UNO auch die NATO als solches Bündnis wertet. Für Martin Singe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie ist das eine "Uminterpretation der Verfassung". Die NATO sei gerade kein System kollektiver Sicherheit, sondern ein Militärbündnis.

Einfache Parlamentsmehrheit reicht aus

In seinem Urteil betont das Verfassungsgericht den sogenannten Parlamentsvorbehalt: Nicht die Bundesregierung darf über die Einsätze entscheiden, sondern nur der Bundestag. Nur bei "Gefahr im Verzug" kann die Regierung Einsätze anordnen, muss das Parlament aber umgehend unterrichten. Der Bundestag muss dann möglichst schnell über den Einsatz abstimmen. Doch auch diesen Vorbehalt interpretiert das Gericht anders als erwartet: Die Parteien rechneten damit, dass wie bei einer Grundgesetzänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Militäreinsatz notwendig wäre. Die Richter verlangen jedoch nur eine einfache Mehrheit. "Damit ist die Einsatzschwelle für Bundeswehr-Einsätze in aller Welt nochmal abgesenkt worden", sagt Singe, der seit rund 30 Jahren in der Friedensbewegung aktiv ist.

Mit Blick auf die deutsche Geschichte beruhigt Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und betont, "dass jetzt nicht nach der Entscheidung von Karlsruhe hier eine Stimmung ausgebrochen ist: 'The Germans to the front' - davon kann keine Rede sein!" Doch die Auslandseinsätze häufen sich: Die Bundeswehr beteiligt sich - nun auch mit Zustimmung der Grünen - 1999 am NATO-Krieg gegen Serbien und bekämpft nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter anderem die Taliban in Afghanistan und Piraten vor Somalia. In den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 werden als neue Bedrohungen neben dem internationalen Terrorismus auch Klimakatastrophen, sogenannte Migrationsentwicklungen und Engpässe bei Rohstoffen definiert.

Stand: 12.07.2014

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