Das vermutliche originale Beil des Massenmörders vor seinem Portrait

Stichtag

23. Juni 1924 – Verhaftung des Serienmörders Fritz Haarmann

Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich Hannover zu einem internationalen Durchgangs- und Schiebermarkt. Die Polizei ist unterbesetzt und überfordert. Sie setzt auf Spitzel unter den kleinen Ganoven, die ihr gegen Bezahlung sachdienliche Hinweise geben. Einer dieser Spitzel ist Fritz Haarmann.

Mit einem Polizeiausweis bewaffnet, darf Haarmann jede Sperre passieren. Durch seinen Altkleiderhandel ist er stets akkurat gekleidet. So kann er sich mit dem Versprechen, für Essen und Unterkunft zu sorgen, unter den jungen Ausreißern am Bahnhof die attraktivsten aussuchen. Er lockt sie in seine Wohnung, wo er sie im Liebesspiel totbeißt und zerstückelt. Mindestens 27 Jugendliche werden so zu seinen Opfern.

"Onkel Fritz"

Geboren wird Haarmann 1879 in Hannover. Für seinen Werdegang zum Massenmörder wird er später die Familie verantwortlich machen, die ihn schikaniert – bis auf die Mutter, die er abgöttisch liebt. In der Schulzeit sammelt er erste sexuelle Erfahrungen mit Jungen. Er bleibt oft sitzen, eine Lehre bricht er ab. Nach 1905 häufen sich die Unsittlichkeitsdelikte mit Kindern.

Haarmann kommt als "gemeingefährlicher Geisteskranker" in die psychiatrische Anstalt nach Hildesheim, dann nach Hannover-Langenhagen. Er flieht und versteckt sich ein Jahr lang in der Schweiz. Als er nach Hannover zurückkommt, kümmert sich niemand mehr um "Onkel Fritz", wie ihn die Jungs am Bahnhof nennen.

Im September 1918 begeht Haarmann an Friedel Rothe seine erste Bluttat. Da der Vermisste zuletzt bei ihm gesehen wurde, erstatten die Eltern des Opfers Anzeige. Bei einer nächtlichen Razzia verhaften die Polizisten Haarmann und einen Jungen, der nackt in seinem Bett liegt. Den abgetrennten Kopf Rothes, der hinterm Ofen liegt, finden sie nicht.  Sie suchen ihn auch gar nicht. "Der Haarmann ist doch ein gutmütiger Kerl", wird der zuständige Kriminalbeamte später vor Gericht aussagen. "Dem ist doch kein Mord zuzutrauen."  

Die "Puppenjungen"

1924 finden Kinder fünf abgeschabte Schädel und Knochen in Hannovers Flüssen. Danach stößt eine Hundertschaft der Polizei auf Leichenteile von 20 Männern. Am 23. Juni 1924 wird Haarmann als mutmaßlicher Täter verhaftet und ins Gerichtsgefängnis verbracht. In den Verhören bezeichnet er die Opfer als "Puppenjungen", die sich ihr Schicksal gewünscht hätten. Seine Popularität als Serienmörder genießt er sehr.

Von Anfang an geht es dem Gericht vor allem darum, den Fall ohne großes Aufsehen möglichst schnell abzuwickeln. Wichtig ist dem Richter offenbar, Haarmann als Außenseiter der Gesellschaft darzustellen. Sein Sexualleben wird nicht beleuchtet, weil "die Angaben hierzu zu widersprüchlich sind". Der Schriftsteller und Journalist Theodor Lessing, der immer wieder fordert, Psychologen hinzuzuziehen, wird vom Vorsitzenden Richter des Saals verwiesen: "Wir können hier keinen Herrn dulden, der Psychologie betreibt".  

Im April 1925 wird Fritz Haarmann hingerichtet. Seine Bluttaten machen ihn für die Nachwelt zu einer Attraktion. Ein heiterer Gassenhauer besingt seine Morde: "Warte, warte nur ein Weilchen, / dann kommt Haarmann auch zu Dir, / mit dem kleinen Hackebeilchen / macht er Leberwurst aus dir", heißt es darin. Noch heute ist Haarmann in Hannover eher als "Original" denn als Serienmörder bekannt. Stadtführungen folgen seinen Spuren, in Jahrmarktsbuden wird "Gehacktes vom Jüngling" angeboten, Fans des Fußballclubs Hannover 96 schwenken sein Konterfei auf ihren Fahnen. Die 27 Opfer sind vergessen, so scheint es.

Stand: 23.06.2014

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