"Es muss ein eigentümliches Vergnügen sein, von Jahrhundert zu Jahrhundert im Blut der Menschheit zu schwimmen und Halleluja zu rufen", sagt der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner. "Das Ganze heißt nicht Geisteskrankheit, das Ganze heißt Christentum." Mit solchen Formulierungen treibt er ab den 1960er Jahren den Blutdruck von Theologen und Kirchenvertretern in die Höhe. Deschner gräbt aus, was in offiziellen Darstellungen der Kirchen verschwiegen oder geschönt wird. Sein Hauptwerk ist die zehnbändige "Kriminalgeschichte des Christentums", die von den Ursprüngen des Alten Testaments bis ins 18. Jahrhundert reicht und Untaten im Namen Gottes aufführt. Deschner arbeitet über 40 Jahre daran: Der erste Band erscheint 1970, der letzte 2013.
Nebenbei fördert Deschner auch Skurrilitäten zutage. "Es ist einfach tragisch-komisch zu lesen, was Deschner geschrieben hat über bespielsweise den Vorhaut-Jesu-Kult", sagt der Philosoph Michael Schmidt-Salomon. Es gehe dabei um die Frage, was mit der Vorhaut von Jesus, der als Jude beschnitten war, bei der Himmelfahrt geschehen sei. "Einige Theologen meinten, dass die Vorhaut dann separat zum Himmel aufgestiegen sei, andere sagten, die Vorhaut existiert noch weiter hier auf Erden", so Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der religionskritschen Giordano-Bruno-Stiftung ist. Es habe auch ein Orden der Heiligen Vorhaut existiert.
Kant, Schopenhauer, Nietzsche
Der Vermutung, dass er schon früh in seinem Leben schlechte Erfahrungen mit dem Christentum gemacht hat, widerspricht Deschner: "Ich hatte eine sehr, sehr schöne Jugend." Geboren wird er am 23. Mai 1924 in Bamberg und verbringt seine Kindheit als Förstersohn im fränkischen Steigerwald. "Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die zum Teil katholisch, zum Teil protestantisch war." Deschner besucht auch Internate der Franziskaner und Karmeliten. Nach dem Abitur kämpft er im Zweiten Weltkrieg unter anderem als Fallschirmjäger und wird verwundet. Anschließend studiert Deschner Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Universität Würzburg. 1956 schreibt er - noch immer geprägt von seinen Kriegserlebnissen - seinen ersten, autobiografisch geprägten Roman "Die Nacht steht um mein Haus".
1957 veröffentlicht Deschner ein Buch mit dem Titel "Was halten Sie vom Christentum?". Darin sind die Antworten von bekannten Autoren wie Heinrich Böll zu lesen. Deschner als Herausgeber äußert sich jedoch nicht, obwohl er seinen Glauben bereits während des Studiums abgelegt hat - nach der Lektüre von Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Erst 1962 erscheint sein erstes kirchenkritisches Buch "Abermals krähte der Hahn". Die Resonanz ist gewaltig. Er habe Tausende von Zuschriften erhalten, sagt Deschner. Viele Menschen seien seinetwegen aus der Kirche ausgetreten. Die Kirchenkritik ist von nun an sein Lebensthema.
"Aufklärung ist Ärgernis"
Deschners Fokus auf das Negative in der Geschichte des Christentums bringt ihm den Vorwurf der Einseitigkeit ein. Er arbeite unseriös und unwissenschaftlich, hält ihm der Priester und Professor für Kirchenrecht, Wilhelm Gessel, vor. Deschner betrachte historische Ereignisse mit den Maßstäben der Gegenwart, anstatt "eine Persönlichkeit aus ihrer Zeit und den Umständen der Zeit zu verstehen." Deschner hält dagegen, dass er das Christentum an seinen eigenen Grundsätzen messe. Raub und Mord seien in dieser Religion schon immer verboten gewesen. Ihm geht es um den Kampf gegen Verlogenheit: "Aufklärung ist Ärgernis, wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher."
Insgesamt verfasst Deschner rund 50 Bücher. Die meisten von ihnen sind kirchenkritische Streitschriften. Dazu gehören aber auch Romane, Aphorismen und Erzählungen über seine geliebte fränkische Heimat. Karlheinz Deschner stirbt kurz vor seinem 90. Geburtstag am 8. April 2014 in Hassfurt am Main. Was seinen Nachruhm betrifft, war er schon zu Lebzeiten skeptisch: "Mit zunehmenden Jahren wurde mir immer mehr bewusst, dass das überhaupt nichts bewirkt." Auch Napoleon und Johann Wolfgang von Goethe hätten letzten Endes nichts Bleibendes geschaffen. "Das geht alles eines schönen Tages - man muss nur lange genug warten - den Bach hinunter." Aber das sei kein Grund für Resignation. "Ich habe jedenfalls das getan, um nicht vor mir selber ausspucken zu müssen."
Stand: 23.05.2014
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